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Der König ist tot: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Der König ist tot: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: Der König ist tot: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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sich meiner annähmen und den Unterricht meiner Lehrmeister vervollkommneten.«
    »Und wer war besser, die Lehrmeister oder die Frauen?«
    »Die Frauen. Aber in jedem Land jeweils nur eine. Ich wollte mich nicht verzetteln, indem ich unterschiedliche Akzente lernte.«
***
     
    Im Verlauf der langen Totenwache an der Bahre meines Vaters geschah etwas, das keine geringen Folgen hatte. Mitten in meinen Gebeten hörte ich unterdrücktes Wimmern, die Kammer war matt beleuchtet, und ich konnte zuerst nicht erkennen, woher es kam, doch als meine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnten, sah ich in der dunkelsten Ecke des Raums am Boden Margot sitzen, die ihre Knie mit den Armen umschlang und sich die Seele aus dem Leibe weinte. Ich hieß Nicolas sie an meine Seite holen, damit sie wie ich zu Häupten des Mannes beten könne, den sie über alles geliebt hatte. Mit erstickter Stimme dankte sie mir für meine Güte, kniete nieder, doch in einigem Abstand zu mir, wohl um mich durch ihre Nähe nicht zu verletzen. Da es nun fraglich ist, ob der Leser sich erinnert, wer Margot war, »unsere kleine Holzdiebin«, wie wir sie anfangs nannten, will ich hier mein Verslein sagen. Früh verwaist, lebte sie allein in einem armen Haus, verzehrte das bißchen Brot, das sie sich bei den Nachbarinnen durch schwere Arbeiten verdiente. Es war ein eiskalter Winter. Unerschrocken erkletterte sie die Mauer, hinter der sich unsere Scheite häuften, und holte sich Holz, soviel sie brauchte.
    Schließlich fielen unserem Gesinde die Diebereien auf, siewurde ausgespäht, gefaßt und vor meinen Vater geführt, der erst einmal baff war, daß ein so zierliches Kind eine zwei Klafter hohe Mauer hatte erklimmen können. Ein solcher Lebenswillen und solche Kühnheit gefielen meinem Vater, und weit entfernt, sie dem weltlichen Arm zu überliefern, der sie kurzerhand gehängt hätte, nahm er sie in sein Haus und gratulierte sich bald dazu, so aufgeweckt und fleißig erwies sie sich.
    Als sie zu uns kam, muß sie zwölf oder dreizehn gewesen sein, älter nicht. Genau ließ es sich schwerlich feststellen, denn ihre Arme und Beine waren ganz mager, ihr Gesäß ohne jede Rundung, ihre Brust flach wie meine Hand. Trotzdem, nachdem man sie erst einmal gesäubert hatte, war es schon damals eine Freude, sie anzusehen mit ihren reichen blonden Haaren, ihren klaren Augen und ihrer ganzen Lebhaftigkeit, die auch anzeigte, daß sie sich zur Wehr zu setzen wüßte, sollte eine unserer Kammerfrauen sie einmal rüffeln wollen.
    Und bei alledem besaß sie noch eine Tugend, eine sehr seltene Tugend: Dankbarkeit. Sie betete meinen Vater an, und wiewohl dieses Gefühl zu Beginn töchterlich war, wandelte es sich doch bei ihr wie bei ihm, als die Rundungen hervortraten, die sie zum Weibe machten. Es war dies aber keine Herrenlaune, Leser, denn beider Anhänglichkeit wuchs und dauerte, so daß Margot allgemach zur Herrin des Hauses wurde. Nicht den kurzen Cotillon trug sie mehr, sondern den Reifrock, und außerdem gab mein Vater ihr einen Hofmeister, der sie binnen kurzem lesen und ein Französisch sprechen lehrte, um das so manche unserer höfischen Zierpuppen sie beneidet hätte.
    Ich weiß nicht mehr, wie lange wir in Andacht verharrten, als auf der Schwelle die dralle und mundfertige Mariette, unsere Köchin, erschien. Mit kräftiger Stimme, während dicke Tränen über ihre Wangen rollten, sagte sie, es sei nicht damit getan, den armen Herrn Marquis zu beweinen, den besten Herrn, den es je gab, man müsse das arme Tier auch ernähren, wollten wir nicht unserseits vergehen und dahinschwinden. Ganz sicher, meinte sie, würde der Herr Marquis dort oben in seinem Paradies es gerne sehen, daß seine Gäste ein letztes Mal an seiner Tafel speisten, und wiewohl vor Kummer zerflossen, habe sie uns doch eine gute Suppe zubereitet, wie es ihre Pflicht sei, und nun sei es die unsere, diese auch zu essen. Ich erhob mich, die anderen folgten mir, und sowie ich bei Tisch saß, fand ich Margot an meinerSeite, was zwar nicht dem Protokoll entsprach, was ich aber durchgehen ließ, so hilflos sah sie aus, so verloren. Als ich ihr zuraunte, sie solle ihre Tränen trocknen, sie aber kein Schnupftuch dabei hatte, gab ich ihr meins, das sie über ihre verweinten Wangen führte.
    »Weiß Gott, was jetzt aus mir werden soll«, sagte sie mit erloschener Stimme. »Ich habe den besten Herrn verloren, den es auf Erden gab. Wo soll ich nun hin, ohne Brot, ohne Dach?«
    »Natürlich zu mir«, sagte ich,

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