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Der König und die Totenleserin3

Der König und die Totenleserin3

Titel: Der König und die Totenleserin3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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Jahren.
    Nuancen, Sätze, Träume, Hinweise aus diesen vergangenen Tagen, die sie hätte bemerken sollen, flatterten ihr jetzt erneut durch den Kopf, setzten sich zu einem erkennbaren Mosaik zusammen.
    Das also war die Antwort – Liebe. Liebe war die einzig mögliche Verbindung zwischen den Lebenden und den Toten, die hier in dieser traurigen Ansammlung von Knochen vereint waren. Liebe in ihren vielen Erscheinungsformen – zerstörerisch, sexuell, schön, schützend, besitzerergreifend – war das Bindeglied. Es war auch eine Art Liebe, die Rowley und sie selbst beinahe getötet hatte, und in einer anderen Form hatte sie das Paar, das Arthur und Guinevere genannt worden war, ins Grab gebracht.
    Wie traurig.
    Adelia ging hinaus und schloss die Tür der Hütte behutsam hinter sich.
    Eine warme frühe Sonne sog die Feuchtigkeit als Nebel aus dem durchweichten Boden, sodass es aussah, als ragten die großen Hügel aus dem Nichts in einen durchscheinenden Himmel. Schwalben verschwanden in diesem Nebel, wenn sie hinabstießen, um Insekten zu fangen, und tauchten dann wieder auf.
    Ob Glastonbury wirklich der Omphalos war, den Mansur darin erkannt haben wollte, oder nicht, an diesem Morgen war es magisch, zeigte ihr, dass Avalon, wenn es überhaupt irgendwo existierte, hier war; es verzauberte, war imstande, einen ruhelosen Geist zu wecken, der sie verfolgt und bedrängt hatte, bis sie die Wahrheit über ihn herausfand.
    Wie leicht war es an diesem Ort, sich den gesunden Menschenverstand von der atemberaubenden natürlichen Schönheit der Landschaft untergraben zu lassen.
    Adelia, nüchterne Wissenschaftlerin, die sie war, kämpfte gegen diese Versuchung an: zu glauben, dass die Guinevere-Albträume von irgendwo außerhalb von ihr gekommen waren und nicht von unbewussten Zweifeln, die sie von Anfang an gehabt hatte, ein diffuses Schuldgefühl ob der Annahme, dass ein Skelett weiblich war, nur weil alle das behaupteten …
    »Nicht mit mir!«, sagte sie laut. Es war fast ein Fauchen.
    Aber dennoch schritt sie auf unsichtbaren Füßen durch den Nebel von Glastonbury.
     
    Sie erreichte die Anlegestelle. Es war alles ruhig hier bis auf das Kreischen von Möwen und das Piepsen von Sumpfvögeln, die zwischen Schilfrohr und Riedgras ihre Jungen versorgten. Der Fluss hatte durch die Regenfälle der vergangenen Nacht neue Kraft gewonnen und floss schneller, als sie bislang gesehen hatte, ein dunkelblaues Band, das sich um Inseln herum Richtung See wand. Ein kleines Stück weiter am rechten Ufer, wo das Bootshaus stand, sah sie Godwyn Vorräte in ein Boot laden. Diesmal war es ein großer Kahn, der sie nach Lazarus Island und zu den drei Ausgesetzten bringen sollte.
    Und gebe Gott, dass wir nicht zu spät kommen!
    Adelia zog ihre ruinierten, vom Wasser verformten und mit Asche beschmierten Stiefel aus und setzte sich so auf einen Steg, dass sie die Zehen in den Fluss tauchen und verspielte schillernde Wasserbögen aufspritzen lassen konnte.
    Wieder flüsterte ihre Umgebung, dass die Welt in Ordnung war, besonders hier – dass Emma, Pippy und Roetger in dieser herrlichen Landschaft überlebt haben
mussten,
dass ein großer König aus alter Zeit sich keinen besseren Ort für seine letzte Ruhestätte hätte aussuchen können.
    Sie wünschte, sie könnte es glauben. Wie schön wäre es, menschliche Bosheit zu vergessen, sich der Natur ringsum hinzugeben, Beweise außer Acht zu lassen und einzuräumen, dass die verstümmelten Knochen in der Hütte tatsächlich die von Arthur und Guinevere waren, getötet in einer legendären Schlacht in so ferner Vorzeit, dass ihre Schreie und Schläge längst verhallt und zu einem sanften Hauch in der geschichtengeschwängerten Luft geworden waren.
    Sie spürte den kleinen Steg erbeben, als jemand ihn betrat und zu ihr kam. Neben ihr tauchten die langen weißen, in Sandalen steckenden Füße von Abt Sigward auf.
    »Wir haben Euch gesucht, mein Kind. Wollt Ihr mitkommen und etwas essen, ehe wir aufbrechen?«
    Sie blinzelte zu ihm hoch, schirmte die Augen gegen die Sonne ab. »Wie starb Euer Sohn?«, fragte sie.
    Einen Moment lang war er still wie der Tod. Sie sah ihn weiter an.
    »Ihr also seid Nemesis«, sagte er.
    Sie nickte.
    Dann veränderte sich das Gesicht des Abtes, wurde schön, als würde die Sonne, die es beschien, von einem inneren Licht gespiegelt. »Auf diese Frage habe ich zwanzig Jahre lang gewartet.« Er streckte die Arme seitlich vom Körper, als wollte er alles, was er sah,

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