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Der König und die Totenleserin3

Der König und die Totenleserin3

Titel: Der König und die Totenleserin3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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»Die Kirche verlangt zwar, dass Aussätzige in Keuschheit leben, und ich dürfte eigentlich keine Trauungen vollziehen, aber ich tue es trotzdem. Und Taufen. Ich habe menschliche Liebe ebenso schätzen gelernt wie göttliche.«
    Wie ihre Häuser, so machten auch die Menschen, die sie an der Anlegestelle erwarteten, einen gepflegten Eindruck, obwohl sie, anders als normale Dorfbewohner, überwiegend einheitlich schwarz gekleidet waren und breitkrempige Hüte trugen, die an Pilgerhüte erinnerten. Als der Kahn anlegte und Godwyn ihn vertäute, wobei er das Tau sorgfältig mit einem Vorhängeschloss an einem Poller sicherte, drängten die Wartenden vor, um Abt Sigward beim Aussteigen zu helfen, umarmten ihn, küssten seine Hände und redeten auf ihn ein. Einige versuchten, ihn zu ihren Hütten zu ziehen, damit er die Kranken segnete, die darin lagen.
    So nervös und aufgewühlt Adelia auch war, die Wissenschaftlerin in ihr nahm gleich bei einigen von ihnen die ersten Anzeichen der Krankheit wahr: Magerkeit wegen Appetitverlust, verbogene Hände, Flecken und Ausschlag im Gesicht. Doch selbst diese Menschen hatte die Ankunft des Abtes aus ihrer Mattigkeit gerissen, die unabwendbar mit Lepra einherging.
    Wären ihre Gedanken nicht bei Emma gewesen, sie hätte gern Fragen gestellt und Untersuchungen vorgenommen. Was war Lepra? Wurde sie von Eltern auf Kinder übertragen? Warum erkrankten manche daran und andere nicht? Welche Bedingungen begünstigten sie und welche nicht?
    So jedoch … »Wo sind meine Freunde?«, fragte sie Godwyn scharf.
    Rowley verzog das Gesicht, als er die Menschen vor sich sah, stieg widerstrebend aus dem Kahn, um sich zu Godwyn und Adelia
     auf dem Steg zu gesellen, und hielt bewusst Abstand zu den Menschen, die sich um Sigward scharten.
    Hilda blieb auf dem Boden des Kahns knien. Sie hatte den Kopf auf die Ruderbank gelegt, auf der der Abt gesessen hatte, und ihre offenen Augen starrten ins Leere. »Bin gleich wieder da, Schatz«, sagte ihr Mann zu ihr. Sie rührte sich nicht.
    Rowley und Adelia ließen den Abt bei den Leprakranken zurück und folgten Godwyn einen Pfad hinunter, der durch das Dorf führte – das allerdings mit jedem Schitt die Ähnlichkeit mit einem normalen Dorf verlor. Die Menschen, die da vor den Häusern in der Sonne saßen oder an Türen lehnten, plauderten nicht, sie webten nicht und kümmerten sich auch nicht um ihre Kinder; sie wurden bei lebendigem Leibe von einer Krankheit aufgefressen, die an ihrem Fleisch nagte wie eine Ratte an einem Kadaver. Sie sahen einander auf schreckliche Weise ähnlich, weil die fortgeschrittene Lepra ihre Gesichter gleich machte, sie in Löwenfratzen verwandelte.
    Der Gefühlsverlust in den Extremitäten, wodurch manche sich verbrannt oder verletzt hatten, ohne es zu merken, war mit für das Fehlen von Fingern und Zehen verantwortlich, die durch Nekrose abgefallen waren. Ein blinder Alter mit nackten Beinen merkte nicht, dass eine Möwe am Stumpf seines Fußes herumhackte.
    Adelia scheuchte den Vogel weg, bückte sich und breitete das Ende der Decke, auf der er saß, über seine Beine. Rowley zog Adelia weg. »Um Gottes willen, fass ihn nicht an! Du kannst nichts tun.« Er schob sie weiter.
    Alles in ihr schrie danach, irgendetwas zu unternehmen, aber sie wusste von ihrem Stiefvater, dass sich die Schmerzen der Krankheit im frühen Stadium zwar durch Opium lindern ließen, bei diesen Leidenden aber selbst das nicht mehr half. Sie würden langsam sterben, Zoll um Zoll. Nichts blieb ihnen erspart, nicht einmal der Gestank ihres eigenen faulenden Fleisches.
    »Des Todes Erstgeborener.«
Rowley zitierte aus dem Buch Hiob.
    Kein Wunder, dass die Kirche behauptete, diese Menschen würden nicht in die Hölle fahren, wenn sie starben. Sie bewohnten sie schon zu Lebzeiten. Aus einer der Hütten drang ein gestammelter Schrei nach Wasser, ob von einem Mann oder einer Frau war unmöglich zu sagen. Ein kleines Mädchen kam mit einem Eimer heraus und lief zu einer Pumpe. Auch das würde nichts nutzen. Der Durst am Ende war unstillbar.
    Sie hatten das Dorf jetzt hinter sich gelassen und sahen in der Ferne das Meer. Die Flut kam, erfrischte die Marsch und die Luft, als wollte sie die Erinnerung an das Gesehene aus ihrem Gedächtnis tilgen.
    Lass ein Gutes in dieser Welt sein!, dachte Adelia. Mach, dass Emma und Pippy leben! Und auch Roetger. »Wo sind sie?«
    Godwyn zeigte nach vorne, wo im Schatten eines niedrigen Wäldchens eine Schäferhütte stand.

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