Der König und die Totenleserin3
schrecklich für dich, mein Kind … Schnell, um Gottes willen, man sollte der Lady etwas Weinbrand geben, irgendein Stärkungsmittel. Ich hätte sie nicht allein lassen sollen …«
»Ich bin nicht verrückt, Rowley«, sagte sie.
»Natürlich nicht, aber es war zu viel für Euch. Es war ein Unfall, Mistress, ein böser Unfall.«
Sie forderten sie auf, sich hinzusetzen, etwas zu trinken und sich auszuruhen. Auf allen Gesichtern lag derselbe Ausdruck, nicht nur Sorge, sondern auch Mitleid mit einer Frau, die so erschüttert war, dass sie fast den Verstand verloren hatte.
»Hol euch der Teufel!«, schleuderte sie ihnen entgegen. »Da war eine Unterbrechung, und dann hat es wieder angefangen.«
Warum in Gottes Namen konnte sie nicht in Worte fassen, was sie doch ganz klar gesehen hatte, und ihnen erklären, was es bedeutete? Es
musste
jemand da gewesen sein …
Sie stockte. Es hatte nämlich noch eine Pause gegeben. Während sie versucht hatte, Mansurs Gesicht freizubekommen, war keine Erde mehr herabgefallen – weil Rowley mit seinem Auftauchen den oder die großen Unbekannten verjagt hatte.
Schließlich kam man überein, dass Mansur befragt werden musste, weil Männer im Angesicht der Gefahr weniger hysterisch waren als Frauen.
Aufreizend sanft und noch immer emsig dabei, ihr unterschiedliche Stärkungsmittel anzubieten, geleiteten sie sie durch die Kirchenruine und um die hintere Mauer herum.
Mansur war nicht da.
Adelia starrte auf die leere Stelle im Gras, wo er gelegen hatte.
Rufend machten sie sich auf die Suche nach ihm.
»Er ist bestimmt zurück zum Gasthaus«, sagte Rowley.
Sie brachten sie zum »Pilgrim Inn«. Er war nicht da. Es kam zu langatmigen Erläuterungen für den Wirt und seine Frau und für Gyltha, wobei Adelia beobachtete, wie deren Gesicht ganz grau wurde.
Wieder nach draußen. Manche liefen laut rufend die leeren Dorfstraßen auf und ab, andere machten sich daran, das Gelände der Abtei gründlicher abzusuchen.
Walt verhinderte, dass Adelia wieder in die Grube hinunterstieg, indem er selbst mit Hilfe des Seils hinabkletterte, aber es war offensichtlich – selbst für Adelia, die ängstlich über den Rand nach unten spähte –, dass seit ihrer und Mansurs Rettung hier niemand mehr verschüttet worden war.
Der Bischof von St. Albans verpasste seine Verabredung, wie wichtig sie auch gewesen sein mochte, in Wells, um mit seinen Männern in die Hügel hinaufzureiten, rufend, immerzu rufend, sodass der Name des Arabers vom Himmel schallte. Bis es zu dunkel wurde, um noch irgendetwas zu erkennen. Mansur blieb verschwunden.
Wie Emma.
»Ich komme morgen früh wieder«, sagte Rowley. »Sobald es hell wird.«
Adelia nickte. Sie hielt Gyltha fest an sich gedrückt.
»Verwirrt«, sagte Rowley. »Er war nach dem Unfall verwirrt, verständlicherweise. Er ist einfach losgegangen und hat sich verlaufen, aber er kann nicht weit gekommen sein. Und die Nacht ist warm, er wird sie unbeschadet überstehen. Mansur auf jeden Fall.«
Sie nickte wieder.
Gequält sagte er: »Ich muss zurück, das versteht Ihr doch?«
Sie verstand es. Die Diözese von Wells erwartete es. Er war einer der bedeutendsten Männer Englands, viel beschäftigt, Gottes Vertreter für Tausende Quadratmeilen. Was die Diözese von Wells nicht erwartete, war, dass er die Nacht mit einer Frau in einem Gasthaus verbrachte.
»Ich verspreche Euch, Mistress«, sagte Rowley mit einem bemühten Lächeln. »Diesmal hat der Erdboden ihn nicht verschluckt.«
Hatte sie ihm nicht von Emma erzählt, die wirklich wie vom Erdboden verschluckt war? Sie wusste nicht mehr, ob ja oder nein. Irgendwie machte die Angst sie ganz stupide. »Emma«, murmelte sie.
»Ich werde mich darum kümmern. Also dann, Gott segne Euch, Mistress! Morgen früh sehen wir uns wieder.«
Hildas Sorge um ihre Gäste war lästig, obwohl sie es zweifellos gut meinte. Adelia und Gyltha bekamen alles angeboten, was sie nach Meinung der Wirtin aufmuntern würde, von Godwyns Götterspeise bis hin zu ihrem eigenen Hausmittel gegen Melancholie, einem zähflüssigen Kräutertrunk, den die beiden brav schluckten, ehe sie in Adelias Schlafkammer flüchteten. Um sich abzulenken, bestand Gyltha darauf, Adelia die Haare zu waschen und frische Sachen für sie herauszulegen. Dann setzte sie sich hin, ergriff Adelias Hand und wiegte sich unruhig vor und zurück.
»Blöder alter Mistkerl, wo ist er nur? Findet nicht mal seinen eigenen Hintern im Dunkeln, also warum spaziert
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