Der König von Berlin (German Edition)
Zeichen der Verbindung beider Länder. Man munkelte, das Innenministerium habe sich sogar bereit erklärt, eine Terrorwarnung tschetschenischer oder islamistischer Terroristen vorzugeben, zur Not auch von beiden. Doch irgendjemand mit Weisungsbefugnis musste dies wohl unerwartet schroff abgelehnt haben. Womöglich sogar die Innenministerin oder die Kanzlerin selbst.
Die Politik vertraute letztlich auf die üblichen kammerjägerlichen Wege, um die Gefahr in letzter Sekunde zu bannen. Doch Millionen von Ratten konnte man nicht vergiften oder gar in die Luft sprengen, ohne die ganze Stadt zu gefährden. Man musste sich mit ihnen arrangieren. Ein Gleichgewicht herstellen. Ein Gleichgewicht, das gerade gestört war, weil der Mann, der es gehalten hatte, gestorben war, bevor er einen Nachfolger in seine Kunst hatte einweisen können. Oder aber – und einiges sprach für diese zweite Möglichkeit –, weil er die Stadt im Falle seines gewaltsamen Todes aus Rache ins Chaos stürzen wollte.
Toni Karhan war überzeugt, dem Bauplan von Erwin Machalliks System auf der Spur zu sein. Zumindest hatte er dies dem Bürgermeister und den Sicherheitsexperten mitgeteilt. Zwar war Toni weit davon entfernt, das Prinzip zu verstehen, aber er traute es sich zu, das Allerschlimmste zu verhindern. Und er wusste, was ihm dazu noch fehlte: Irgendwo musste es einen Schlüssel, einen großen Plan der Stadt geben, der die wichtigen strategischen Punkte verriet, jene Stellen und Kanäle, über die man die Ratten leiten konnte, mit denen sich ihr Bestand überwachen und regulieren ließ. Diese zentralen Knotenpunkte würden es mit vergleichsweise geringem Aufwand ermöglichen, das Rattenheer harmonisch und lautlos wie Meeresströmungen unter der Stadt dahinfließen zu lassen. Und irgendwo im Chefzimmer des Bürobunkers, da war Toni überzeugt, befand sich der Plan mit den Schlüsselinformationen.
Deshalb musste er in das Büro gelangen, und vom Bürgermeister bis zur Kanzlerin verlangten alle von Kolbe, die Bunkertür für Toni zu öffnen.
Dem dicken Spurensicherer aber waren die Ratten reichlich egal. Seinetwegen sollten sie sich ruhig am Buffet für den russischen Präsidenten und seine Diplomaten satt fressen. Demnächst würden sie sich gewiss wieder beruhigen, die Ratten. Diese Stadt hatte schon andere Dinge überlebt, sogar die Nazis waren wieder in ihren Löchern verschwunden, da würden sich auch die Ratten nicht ewig oben halten.
Kolbe hoffte auf andere Schätze aus dem Riesentresor. Schätze, die ihm die wirklichen Geheimnisse der Stadt verrieten. Schätze von unvorstellbarem Wert – wenn man sie geschickt einzusetzen verstand. Aber die Zeit rannte ihm davon. Lanner würde bestimmt bald hier auflaufen und sich wie gewohnt aufplustern, auf «seinen Fall» pochen und die Hauptkommissarsnummer abziehen. Schon bei dem Gedanken daran wurde Kolbes Laune noch miserabler. Das Landhuhn ahnte doch gar nicht, was für Möglichkeiten sich hier boten. Ganz zu schweigen von dem Ärger, den er kriegen könnte, wenn der Machallik-Fall noch mal aufgerollt würde. Polizeipräsident Breissing hatte sich da unmissverständlich geäußert: Wenn ihm jemand den Fall noch einmal auftischen dürfe, dann nur, um ihn auch sofort wieder abzuräumen, wenn man also zweifelsfrei den Mörder hätte. Kolbe wusste, dass die Ermittlungen hier am schnellsten und unkompliziertesten abliefen, wenn er ungestört und als Erster in diesen Bunker käme. Ohne lästige junge Hauptkommissare.
L anner hatte fast lachen müssen. Als er das Handschuhfach öffnete, fielen seine Dienstpistole und die Handschellen heraus. Dahinter klemmte allerdings ein voluminöser Umschlag mit überraschendem Inhalt: einem dicken Geldbündel, Zweihundert-, Hundert-, Fünfzig- und Zwanzig-Euro-Scheine. Dazu ein Foto und ein Brief. Der Hauptkommissar fingerte beides heraus. Der Brief war in derselben Blockschrift geschrieben wie der erste Zettel. Das waren Profis. Bei fast jedem Ausdruck hatte man heutzutage gute Chancen, den Typ, vielleicht sogar das genaue Modell des Druckers zu ermitteln. Aber eine saubere Kinderhandschrift in Blockbuchstaben gab so gut wie nichts her. Das war mittlerweile die sicherste Möglichkeit, anonyme Nachrichten zu übermitteln. Hier war es diese:
«Geehrter Herr Hauptkommissar Lanner, Glückwunsch zu Ihrer Beförderung. Bitte sehen Sie uns die rüde Behandlung der letzten Nacht nach, aber für unsere weitere Zusammenarbeit erschien es von allergrößter Wichtigkeit,
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