Der König von Berlin (German Edition)
lauter. «Haben Sie mich verstanden, Frau Matthes? Ich glaube, diese Plage ist hausgemacht. Und ich hege den starken Verdacht: Sie wird hier, von diesem Büro aus gemacht! Ich möchte von Ihnen wissen: Wird die geheimnisvolle Stelle, die die Ratten dieser Stadt mehr oder weniger kontrolliert, diese Einsatzzentrale in Korea oder wo auch immer, wird sie von diesem Büro aus gesteuert?»
Claire Matthes atmete tief durch, dann sagte sie kontrolliert: «Wir können Wünsche äußern.»
Toni stellte die Tasse hin und verschränkte die Arme. «Wünsche, denen dann aber auch in aller Regel entsprochen wird?»
Frau Matthes verzog die Mundwinkel. «Wünsche, denen immer entsprochen wird.»
«War es Ihr Wunsch, die Rattenpopulation so massiv ansteigen zu lassen? Eine Plage über Berlin zu bringen?»
«Es war Erwin Machalliks Wunsch. Und ich hatte versprochen, ihm diesen Wunsch nach seinem Tod zu erfüllen.»
«Warum?»
«Das war doch Erwins Vermächtnis. Seine Legende. Das Szenario hatte er schon lange entworfen und vorausberechnet. Es gibt im Büro eine DVD, auf der er genau prophezeit, was für eine beinah biblische Rattenplage über Berlin kommt, falls er plötzlich sterben sollte. Das war die Drohung. Er nannte es das Versprechen, das ihn überhaupt erst zum König von Berlin machte. Weshalb ihn auch niemand anzugreifen wagte.»
Geräuschvoll zog Toni einen Stuhl heran und setzte sich. «Das ist der Grund? Nur seiner Legende wegen überzieht er die Stadt mit einer Katastrophe und lässt seine beiden Söhne ins offene Messer laufen? Und Sie machen da auch noch mit?»
Auch Claire Matthes griff nach einem Stuhl und setzte sich nah zu ihm. «Die Dinge sind nie so einfach, wie sie scheinen, Toni. Schon gar nicht bei Erwin Machallik. Er mochte Max und Helmut durchaus. Die Leitung dieser Firma allerdings traute er ihnen nicht zu, überhaupt nicht. ‹Die Jungs haben weder einen Sinn für die Ratten noch fürs Geschäft›, hat er immer gesagt. Sie sehen es ja, die beiden hätten seit Wochen entdecken können, was Sie gerade herausgefunden haben. Aber sie haben nichts gefunden. Sie haben nicht mal richtig gesucht. Erwin konnte sie nicht einfach rausschmeißen oder enterben, es waren ja seine Söhne. Sie sollten von sich aus gehen, etwas Eigenes aufbauen, es ihm zeigen, so in der Art. Aber daran hatten die beiden kein Interesse. Die sind einfach geblieben. Egal, wie sehr er sie demütigte. Die haben das einfach ausgesessen. Mir taten sie immer leid.»
«Aber trotzdem haben Sie sie hintergangen und dieser Rattenplage ausgesetzt, ohne ihnen eine faire Chance zu geben, das Problem zu lösen.»
Frau Matthes sprang auf. «Was fällt Ihnen ein, Sie Flegel! Ich habe dasselbe versucht wie Erwin – sie zum Aufgeben zu bewegen. Damit sie etwas Besseres aus ihrem Leben machen, als sich in dieser Firma aufzureiben, die nicht gut für sie war. Und die beiden waren, nebenbei bemerkt, auch nicht gut für die Firma. Wirklich nicht!» Sie funkelte Toni an. «Ich arbeite seit vierzig Jahren hier! Ich hänge an dem Betrieb und an dieser Stadt. Und auch Erwin Machallik wollte Berlin nicht leiden lassen. Es sollte sich nur seine Legende bewahrheiten, und die Söhne sollten zum Aufgeben bewogen werden.»
Toni schüttelte den Kopf. «Was für ein Blödsinn, diese alberne und eitle Legende.»
Gebieterisch hob die alte Chefsekretärin den linken Zeigefinger. «O nein, mein lieber Toni. Diese Legende ist mitnichten albern. Sie ist sogar sehr wichtig. Die Position des Königs der Ratten ist eine außerordentlich gefährliche. Man hat da Feinde, sehr viele und sehr mächtige Feinde. Die Legende allerdings schützt den König, weil ihr zufolge auf seinen Tod unweigerlich das Chaos folgt. Das fürchten die Feinde. Nur wenn sich die Legende jetzt, nach dem Ende von König Erwin Machallik, erfüllt, wird sie auch seinen Nachfolger schützen können. Den, der aufsteigt, weil er das Chaos beendet, die Population bändigt und deshalb als der neue König der Ratten anerkannt wird. Dessen Ende dann aber eben auch das Chaos zurückbringen würde …»
Toni schaute sie ratlos an. «Ein neuer König?»
Claire Matthes hob den Kopf. Aufrecht und respektgebietend saß sie nun da. «Selbstverständlich. Erwin Machalliks Erbe, der neue König von Berlin.»
«Wer?»
Frau Matthes lachte. «Na, wer ist denn wohl gerade dabei, die Stadt vor den Ratten zu retten?»
Toni schaute auf seine Füße und sah seine Socken. Es waren zwei verschiedene. «Das können Sie
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