Der König von Berlin (German Edition)
hoffte dringend für ihn, dass er eine gute Erklärung dafür hatte, warum er nicht gekommen war. Eine richtig gute.
[zur Inhaltsübersicht]
Vierter Tag
S ein Schädel brummte wie die wartungsbedürftige Kühlung eines alten Fischlagerhauses. Auch sonst gab es keinen Quadratzentimeter an seinem Körper, der nicht irgendwie schmerzte. Der Tag kam mit der Morgendämmerung genauso schleppend voran wie sein Hirn mit dem Erwachen. Er hatte im Dienstwagen geschlafen. Irgendwo in der Pampa. Lanner rieb ein Guckloch ins beschlagene Fenster und erkannte ein Straßenschild: «Glaanow 2 km». Er schloss die Augen. Entweder hatte er einen wahnwitzigen Traum gehabt oder ein noch wahnwitzigeres Erlebnis.
Jetzt bemerkte er den bestialischen Gestank im Wagen. Außerdem fror er entsetzlich. Er stieß die Autotür auf – es knackte gewaltig – und quälte sich nach draußen. Er hoffte, dass die Tür und nicht seine Knochen geknackt hatten. Draußen streckte er sich, begann zu hüpfen, um sich aufzuwärmen, und überprüfte dabei die wichtigsten Bewegungs- und Gelenkfunktionen. Schien alles noch intakt und an der richtigen Stelle. Nur seine Hose und Unterhose fühlten sich ungewohnt klamm, klebrig, feucht an. Das erklärte wohl den furchtbaren Gestank. Aber wenn das, woran er sich langsam wieder zu erinnern meinte, kein Traum gewesen war, wäre dieses Missgeschick durchaus erklärlich.
Was war da nur passiert? Warum in Gottes Namen entführten ihn wildfremde Frauen in einen Wald, jagten ihm leibhaftige Todesangst ein, um ihn dann niederzuschlagen und in sein Auto zu legen? Hatten sie ihn gezielt entführt, oder war er nur zufälliges Opfer von Verrückten, die sich darauf einen runterholten? Aber taten so was nicht normalerweise eher Männer?
In der Mittelkonsole seines Wagens fand er Handy, Portemonnaie, Notizblock und Schlüssel. Ein Raubüberfall war es also schon mal nicht gewesen. Er nahm das Handy. Sie hatten sich tatsächlich die Mühe gemacht, es lautlos zu stellen. Lanner überlegte, ob er darauf achten sollte, keine Fingerabdrücke zu verwischen, verwarf diesen Gedanken aber gleich wieder. Man würde ganz sicher keine Fingerabdrücke außer seinen eigenen darauf finden. Siebenunddreißig Anrufe, sechzehn SMS und acht Mailboxnachrichten. Die meisten von Carola Markowitz. Zwei Anrufe und eine Nachricht von Georg Wolters. An den SMS von Markowitz ließ sich eine interessante Stimmungskurve ablesen. Sie durchliefen die Stadien: freundliche Information, freundliche Nachfrage, irritierte Nachfrage, wütende Nachfrage, wüste Beschimpfung, ängstliche Beschimpfung, besorgte Beschimpfung, große Sorge, ratlose Verzweiflung. Irgendwann zwischendrin hatte es aber wohl auch gute Neuigkeiten gegeben. Markowitz’ Mitteilungen auf der Mailbox verliefen im selben Bogen, allerdings noch emotionsgeladener. Georgs Anruf hingegen war seltsam, da er überhaupt nichts sagte. Im Hintergrund hörte man zwei Männer, die aber kaum zu verstehen waren. Lanner beschloss, sich das später noch einmal in Ruhe anzuhören oder besser gleich mit Georg zu sprechen. Zuletzt hatte auch die Dienststelle versucht, ihn zu erreichen. Klar, Markowitz musste sie irgendwann informiert haben.
Lanner öffnete die Wagentüren, um zu lüften. Er wollte so schnell wie möglich nach Berlin zurück. Es würde eine anstrengende Fahrt werden, so wie sein Kopf wummerte. Als er den Schlüssel aus der Konsole nahm, sah er in seinem Notizbuch einen Zettel stecken. Der war da vorher nicht gewesen. In sauberer Blockbuchstabenschrift stand darauf eine Handynummer und darunter: «Handschuhfach».
Eine innere Stimme riet ihm, unbedingt die Nummer anzurufen, bevor er ins Fach schaute. Als er sie eintippte, merkte er, dass seine Finger noch immer fast taub waren. Er hatte sich in der Nacht wohl total verlegen und sämtliche Nerven eingeklemmt. Er lauschte dem Freizeichen, dann meldete sich eine Frauenstimme: «Der Teilnehmer mit dieser Nummer ist vorübergehend nicht erreichbar. Sie können aber eine Rückrufbitte hinterlassen und werden benachrichtigt, wenn der Teilnehmer wieder erreichbar ist.» Lanner speicherte die Nummer. Er zögerte kurz, als er einen Namen eingeben sollte. Dann tippte er: «Arschloch».
W ie ein Hund vor der Metzgerei taperte Manfred Kolbe vor dem Sekretärinnenschreibtisch in der Firma Machallik auf und ab. Die ganze Nacht hatten Experten der Polizei, der Feuerwehr, vom Bundesgrenzschutz und verschiedener Sicherheits- und Schlosserfirmen versucht,
Weitere Kostenlose Bücher