Der König Von Korsika
und seine Klinge fuhr in den Körper des nächststehenden Räubers.
Der Degen glitt und glitt durch das Fleisch, ohne auf Widerstand zu stoßen, als würde Theodors Arm gezogen, so perfekt und mühelos, daß er eine Befriedigung empfand, die der seines alten Freunds Sternhart ähneln mußte, wenn eine seiner Gleichungen glatt aufging. Aber das war wohl doch ein unpassender Vergleich, denn als seine Vorwärtsbewegung im Anschlag des Korbs vor der Brust des Mannes zur Ruhe kam, so daß Theodors Gesicht beinahe die Maske berührte, war der Räuber tot.
Helles Blut sickerte unter der Gesichtsverhüllung auf die schwarze Pelerine. Er mußte die Lunge durchbohrt haben. Das Blut roch süßlich wie Pferdefleisch, und der Geruch mischte sich mit dem morgendlichen Kotgestank des Kanals. Der zweite Räuber flüchtete entsetzt.
Theodor zog den Degen aus der auf die Knie gesunkenen Leiche, beförderte sie mit dem Fuß ins Wasser und sah zu, wie sie versank. Ein stimmungsvollerer Rahmen als Venedig, sinnierte er halbwach, war schwerlich vorstellbar, um einen Menschen zu durchbohren.
An der nächsten Kreuzung hatte er den Zwischenfall bereits fast vergessen, so daß er innehielt und sich fragte, ob er nicht etwa träumte. Dies war der erste Mensch, den er getötet hatte, und er mußte an seinen faulenden Zahn denken. Dieser erste Beginn körperlichen Verfaulens und der erste Tote von seiner Hand: Wie ein kalter Wind wehte ihn ein Gefühl von vergehender Zeit und Älterwerden an.
Zurück in seinem Zimmer im Palazzo Respighi, streichelte er die gelbe Katze der Hausherrn, die für die Dauer seines Aufenthalts bei ihm Wohnung genommen hatte, auf dem Fensterbrett saß und sehnsüchtig, wie Theodor es empfand, den vorüberfliegenden Tauben nachblickte. Die
aufgehende Sonne überzog die pockige graue Fassade des Palazzos am gegenüberliegenden Ufer mit gedengeltem Silber und tauchte sie in blendendes Licht. Er kraulte die kleine, so zerbrechliche Hirnschale des wohlgenährten, schnurrenden Tiers, die sich wie eine fellumhüllte Walnuß anfühlte und nannte sie sanft »Poverina. Poverina« .
Ja, es ist eine Stadt der Maskerade, wiederholte Respighi. Zuerst tritt die Larve vor das Gesicht, dann ersetzt sie es.
Theodor nickte gedankenverloren, die Hand im Wasser.
Die Gondel legte am Steg des Palazzo Vendramin an. Die Familie bot aus finanziellen Gründen ihre Gemäldesammlung zum Kauf, und Respighi interessierte sich dafür. Ein Gemälde, Baron, ist, von seinem ästhetischen Wert einmal gar nicht zu reden, eine ausgezeichnete Geldanlage, erklärte er und rieb sich die Hände. Theodor, seine Nelke zwischen die Zahnreihen pressend und mit von dem leichten Schmerz geschärftem Blick, kehrte immer wieder zu einem mittelgroßen Gemälde zurück, das in einem breiten Korridor zwischen zwei von hohen samtenen Vorhängen gerahmten Türen hing.
Das ist ein Giorgione, sagte Respighi im Vorbeigehen. ›La famiglia del pintore‹ . Er deutete auf das Gemälde: Quest’uomo è il pastore dell’essere...
Theodor nickte geistesabwesend.
Unfug, dachte er, vom plötzlich wieder bohrenden Zahnschmerz unwirsch und empfindlich-aggressiv gegen alles und jeden, einschließlich seiner selbst, gestimmt, und in unerklärlicher Eifersucht: Das ist überhaupt keine Familie, und wenn, dann nicht die des Malers.
Er stand vor dem Gemälde wie ein Kapitän auf der schwankenden Brücke eines in Seenot geratenen Schiffs und klammerte sich mit den Augen daran fest.
Die Szenerie badete im türkisgrünen Licht eines Gewitterhimmels. Im Hintergrund zog sich am rechten Ufer
eines von einer Holzbrücke überquerten Flusses eine Stadt hin, im Vordergrund links stand ein junger Mann in Festtagstracht, der den Ort, durch einen Hain und an antiken Ruinen vorübergehend, soeben verließ, rechts saß eine junge nackte Frau auf einer Wiese, ein leichtes weißes Tuch über den Schultern, und säugte das Kind, das sie in den Armen hielt. Der junge Mann blickte zu der Frau hinüber, die ihrerseits mit abwesendem Blick den Betrachter ansah.
Durch die getürmten grünen Gewitterwolken zuckte der erste Blitz eines unmittelbar bevorstehenden Gewitters. Die Häuserfront am Flußufer lag noch in der Sonne und spiegelte sich im Wasser diesseits der Brücke.
Der unentschieden ins leere Zentrum fallende Blick des Betrachters wollte das Paar aufeinander zuziehen, zueinander kommen lassen. Aber keine der beiden Figuren machte in diesem Moment, bevor das Gewitter losbrach, alles
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