Der König Von Korsika
verschoben wie in einem Traum, als trete man auf der Stelle und der Saal bewege sich auf einen zu und von einem fort.
Der Eindruck von Blindheit oder unscharfem Sehen angesichts all der Masken, der fehlenden Gesichter, diese Anonymität erregte ihn, die Nähe des Fremden, Ungewissen stimmte Theodor erotisch. Die Vermummung half, sich nicht vom allenfalls unter ihr verborgenen Persönlichen eines Menschen ablenken zu lassen, von der Sehnsucht in seinen Fingerkuppen und Lippen, der es nicht ums Begreifen zu tun
war, sondern ums Betasten, die nicht in Erkenntnis und Verständnis aufgehoben, sondern zugleich erfüllt und gestillt werden und doch weitersehnen wollte.
Die Maske, die ihn beim Tanz für sich erwählt hatte, war eine hochgewachsene Frau, in deren moorgrünes Kleid silberschimmernde Fischschuppen gewirkt waren. Als sie ihn aufforderte, den Ballsaal zu verlassen, fiel ihm ihre tiefe, fast männliche Stimme auf. Er reichte ihr den Arm, sie legte ihre Hand darauf, eine feingliedrige, lange Hand unter durchbrochenen Spitzenhandschuhen. Wie unter einer hauchdünnen Eisschicht sah er die weiße Haut mit dem blauen Adergeflecht, ein Perlmuttgeschimmer wie die Innenschale einer Auster. Sie erreichten einen leeren Raum, dessen zwei Rundbogenfenster offenstanden. Der Geruch des eisigen nächtlichen Wassers wuchs herauf. Es machte Theodor halb verrückt, sie nicht küssen zu können, als sei schon die erste Tür vor einer ganzen Zimmerflucht verriegelt. Seine Hände glitten in mühsam gezügelter Begierde über ihr Kostüm. Durch raschelnde Drehungen, Geräusche wie Regen oder der Wind in Pappeln, wurde für die Dauer eines Lidschlags helle Haut unter dem grünen Stoff sichtbar, ganz unvermittelt in einem Beugen oder Dehnen, suchenden Tasten oder Zupfen seiner Finger tat sich ein Spalt in den moirierenden Verwerfungen auf, ein Beiseiteschieben, ein Raffen des schweren, knisternden Stoffs offenbarte einen Schlitz, an dessen Saum seine Finger sich entlanghangelten, bis erschreckend warme Haut die Fingerkuppen zunächst zurückzucken ließ. All das geschah unter umeinander kreisenden, schlängelnden Bewegungen, einem Sich-ineinander-Schrauben zweier Spiralen, und Theodor, dessen suchender Blick von keinem Paar Augen aufgefangen wurde, sondern sich an den dunklen Löchern der Maske brach, sah unter halbgeschlossenen Lidern der Hand unter dem durchbrochenen Handschuh zu, den rasch und geläufig wie eine Spinne operierenden Fingern, dann sank er kraftlos zurück
in die Armbeuge der Maske, bemerkte in seinem sich verschleiernden Bewußtsein noch, daß sie beide in dieser Stellung eine Art Pietà mimten, sein über den weichen Oberarm nach hinten gesunkener Kopf wurde sanft zu Boden gesenkt, die Maske löste sich von ihm, stand auf, ging zum Fenster, streifte den Handschuh von ihrer rechten Hand, hielt ihn mit Daumen und Zeigefinger fest und ließ ihn in den Kanal fallen. Er sah ihr zu, und als sie sich wieder setzte, sagte sie mit ihrer schönen, etwas heiseren Altstimme: Ich habe genug von diesen Handschuhen dabei...
Später fragte sie ihn: Es ist Karneval. Warum trägst du keine Maske?
Seine Lippen berührten ihre Ohrmuscheln, er flüsterte wie zuvor: »Mein Pferdchen«. Dies war der zärtliche Kinderneckname, den ihre Mutter seiner Schwester Amélie gegeben hatte, und Theodor hatte in den Umarmungen mit der Unsichtbaren zugleich in der Vergangenheit und an anderem Ort gelebt, war hier und dort, jetzt und damals zugleich gewesen, und jedes seiner Worte hallte durch eine Art Zeit und Entfernung überwindenden Echoraum. So vervielfachte und bereicherte er sein Glück in einer von Worten geschaffenen Spiegelflucht, ohne daß seine nächtliche Gefährtin etwas dabei verlor.
Aber ich trage eine Maske! sagte er schließlich.
Auf dem Nachhauseweg im Morgengrauen standen auf einem an drei Seiten umbauten Platz, der sich in zwei Stufen zu einem schmalen Brackwasserkanal öffnete, plötzlich zwei vermummte Männer vor ihm, die einen Dolch unter der Pelerine hervorzogen und sein Geld forderten.
In Paris hätte Theodor die Hände gehoben und den Männern seine Börse hingeworfen, aber hier im venezianischen Morgendämmer, zwischen Tag und Nacht, Maskenspiel und Realität, Theater und Straße, träumerisch gestimmt von der Liebe mit der Unbekannten und gequält von seinen Zahnschmerzen, noch immer im Dunst zwischen
den Zeiten und Welten wandelnd, zog er wortlos den Degen, sprang, wie er es gelernt hatte, gestreckt in den Ausfall,
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