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Der König Von Korsika

Titel: Der König Von Korsika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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Wiedersehens zuflog – so ist mein Geisteszustand, dachte er kopfschüttelnd, sentimental in Worten, Gedanken und Gefühlen.
    Bleisoldaten würde er ihm schenken, ein ganzes Regiment, eine Trommel und ein Schaukelpferd, nein, ein Schaukelpferd hatte er ihm bereits geschickt, also ein Puppentheater, so eines, wie er sie in Venedig gesehen hatte, mit den typischen Figuren, und die Spieldose mit den arkadischen Motiven und der sich langsam auf der kleinen Kuppel drehenden, flötenspielenden Schäferin; die hatte er bereits in Madrid erstanden.
    Wenn nur alles genauso würde, wie er es unzählige Male im Geist vorauserlebt hatte, wenn nur alles so würde, wie es immer gewesen war, und keine Fremdheit zwischen ihnen existierte und der Mann sie nicht verändert hätte und möglichst unsichtbar bliebe. Je näher er seinem Ziel kam, desto stärker wurde die Spannung, bis sogar olfaktorische Halluzinationen ihn heimsuchten, die Gerüche ihres Kindheitsgartens, der Duft der verschwitzt umhertollenden Amélie bei den Rosen und Reseden, in der Geißblatthecke im feuchten Mauerschatten.
    Wird sie mich wiedererkennen, dachte er, mit dem schmal gewordenen Unterkiefer, in dem vier Backenzähne fehlen? Ein Schauer lief ihm über die Haut, doch die Schmerzen waren vergessen, dafür trat jedesmal, wenn er sich des Zahnwehs und der blutigen Extraktion erinnerte, das Gemälde mit der Gewitterszene vor sein inneres Auge. Dann mußte er an seine Mutter denken und bemerkte mit leisem Erschrecken, daß er in manchen Augenblicken verwechselte, zu wem er da zurückkehrte.
    Vom ersten Augenblick an war alles so, wie er es sich erwünscht hatte. Bereits der Anblick des auf einer Anhöhe
hinter einem Eichenhain gelegenen Schlosses behagte ihm. Es war eigentlich kein Schloß, sondern eine kleine Burg aus der Zeit, da es noch notwendig gewesen war, sich in seinem Haus verteidigen und verschanzen zu können.
    Der Weg führte recht steil hinauf, unter den hohen Eichen hindurch, bog auf der Kuppe nach rechts und wandelte sich hinter dem hohen schmiedeeisernen Tor zu einer Platanenallee, die geradewegs auf das gedrungene Geviert zuführte. In den ehemaligen Schießscharten des Torhauses waren Blumenkübel aufgehängt, und dies war so eindeutig das Werk Amélies, daß Theodor das Herz aufging.
    Links und rechts der Allee lagen umfriedet Obst- und Gemüsegarten. Ein Bursche stand mit einem Korb auf einer Leiter und pflückte Kirschen, eine Frau kniete auf der Erde und zupfte Unkraut.
    Als er abstieg und, gefolgt von Larbi, der die Pferde führte, durch den Torbogen schritt, öffnete sich auf der anderen Seite des gleichmäßig gerechten und mit kleinen Buchsbaumparterres geschmückten Innenhofs die Haustür, und Amélie trat heraus, gefolgt von der Amme, die den Knaben trug.
    Theodor schloß seine Schwester in die Arme, atmete mit geschlossenen Augen den altvertrauten Geruch ihres Nackens ein und fühlte sich, als hätte er Abbitte zu leisten, wie früher bei seiner Mutter, deren strenger Liebe man nie würdig war, was man auch tat.
    Dann jedoch löste er sich von ihr und kniete vor dem Jungen nieder, der mittlerweile auf eigenen Füßen stand und sich mit einer kleinen feisten Hand an den Kattunrock der Amme klammerte. Die feinen angedeuteten Augenbrauen runzelnd und die Backen aufblasend, musterte das Kind das Gesicht des fremden Mannes.
    Allez, dis ce que je t’ai appris, sagte Amélie.
    Bonjour, Monsieur mon Oncle, lispelte der Knabe, und Theodor setzte sich vor ihm auf die Erde, zog galant den
Hut und erwiderte die Begrüßung. Dann streckte er die Hände aus, und als der Neffe sie zögernd in die seinen nahm, begann Theodor zum Erstaunen der Umstehenden zu singen.
    Mit leisem, aber vollem und wie immer ein wenig näselndem Bariton sang er ein italienisches Lied und schwenkte die Kinderhände dazu im Takt. Die Gesichtszüge Frédérics entspannten sich, dann jauchzte er auf. Aus den Augenwinkeln – nicht, weil er sich nicht ganz auf seinen Neffen konzentriert hätte, sondern im Bedürfnis, alles, was geschah, zugleich aufzunehmen – sah Theodor den Blick, mit dem seine Schwester ihn musterte, und las eine Art erstauntes und billigendes Aufhorchen in ihm, dem er in Gedanken antwortete: Ja, wir sind beide ein Stück Wegs gegangen.
    Zugleich nahm er sich vor, sich diesem anerkennenden Blick während seines Aufenthalts würdig zu erweisen und die Mischung aus Wärme und Freiheit, die ihm in diesen ersten Augenblicken ganz natürlich gekommen war,

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