Der König Von Korsika
erzitterte, erbebte, alles stillstand, Anstalten, den unerträglichen Abstand mit zwei, drei Schritten zu überbrücken. Vielmehr schien die junge Frau den hübschen jungen Mann gar nicht zu beachten und er Genüge daran zu finden, sie genüßlich zu betrachten, ohne darüber seinen Weg, wohin auch immer, zu vergessen oder auch nur für längere Zeit unterbrechen zu wollen.
Das junge Mädchen war schön. Seine rosige Haut schimmerte samtig und verschattete im Keil der Leisten. Es hielt sein Kind mit jener beiläufig schützenden Gelassenheit, die junge Mütter zu solch fremdartigen, bewundernswert starken und in sich ruhenden Wesen macht. Zu einer Einheit, die auch der junge Mann offenbar nicht antasten wollte. Am hinteren Ende der Stadt lag eine streng geformte Kirche mit einer Kuppel.
Der Ausdruck inniger Liebe auf dem Gesicht der Mutter steckte Theodor an. Wütend vor Zahnweh rief er: Warum gehst du denn nicht zu ihr hinüber? Was zögerst du denn? So zum Greifen nah ist das Glück nie wieder!
Er hielt sich die schmerzende Wange. Respighi stand wieder hinter ihm. Möchten Sie es kaufen? Es ist über zweihundert Jahre alt.
Nein, nein, sagte Theodor fast ärgerlich. Wie kommen Sie auf Pastore dell’essere ?
Er ist doch offensichtlich ein Hirte, sagte Respighi achselzuckend und auf den Stab des jungen Mannes deutend. Diese gebauschten weißen Hemden und reich bestickten Pumphosen können Sie bei Festen auf dem Land entdecken.
Ein seltsames Bild, sagte Theodor mit schmerzendem Mund. Er kramte nach dem Döschen mit den Nelken.
Ja, es wird viel darüber gerätselt, statt es einfach zu genießen. Es ist übrigens teuer. Eben hörte ich jemand sagen, es handle sich um Hermes bei dem jungen Mann, den Gott der Hirten, und um Io oder gar Isis bei dem Mädchen. Der Mythos jedenfalls, welcher es auch sei, ist mit der Al-Fresco-Farbe der Modernität übermalt, und unsere Fragen bleiben unbeantwortet. Sehen Sie die antiken Ruinen hier, Baron, an denen unser Hermes gerade vorübergekommen ist, unwiderruflich zerstört. Vielleicht ja sogar von dem Gewitter, das eben erst anbricht.
Theodor lächelte, was bei seiner schmerzenden Gesichtshälfte eine schiefe Grimasse ergab. Der Gedanke, daß es hier in Venedig nicht verrückt war, die Vergangenheit als das Bevorstehende, noch nicht Geschehene zu betrachten, gefiel ihm. Und der, daß er ein Gemälde für wichtiger hielt in seinem Leben als alles, was er in zwanzig Jahren gesehen und erfahren hatte, entzückte ihn. Er dachte an seine Mutter: Verwechsle niemals die Realität mit der Wahrheit.
Was haben Sie jetzt vor, Baron? fragte Respighi auf dem Rückweg.
Ich muß mir einen Zahn ziehen lassen und dann nach Spanien zurückkehren, antwortete Theodor.
Kommen Sie wieder, sagte der Kaufmann.
Achtes Kapitel
Es war über fünf Jahre her, daß Theodor seine Schwester, mittlerweile Gräfin von Trévoux, zuletzt gesehen hatte. Sie waren beide noch Kinder gewesen, schien ihm, und jetzt wiegte Amélie einen zweijährigen Sohn, und er war so viel gereist, hatte so vielen Herren gedient, daß er kaum mehr wußte, woher er kam und wohin er ging.
Vorfreude auf das Wiedersehen und eine unbestimmte Angst drängten und bremsten seinen Weg das Rhônetal hinauf. Er machte sich Vorwürfe, diesen Besuch, an dem ihm soviel lag, auch wieder nur einem Auftrag zu verdanken, an dessen Wegesrand er stattfand, wovon er Amélie in seinem Schreiben natürlich nichts mitgeteilt hatte. Der Baron Ripperda, ein holländischer Glücksritter und als Nachfolger Alberonis in der Gunst der hitzigen Farnese sein neuer Kommanditär in Madrid, schickte ihn mit Depeschen, deren Inhalt ihm verborgen war, nach Paris. Es war das erste Mal seit seinem Debüt in Diensten des Regenten, daß er nicht wußte, was die versiegelten Schreiben, die er beförderte, enthielten – übrigens war es ihm herzlich egal, nur sein Stolz war gekränkt. Paris – auch solch ein Wiedersehen, das ihm bevorstand.
In Lyon würde er Geschenke kaufen, Geschenke für seine Schwester, den Gemahl, von dem er nichts wissen wollte, und vor allem Geschenke für seinen Neffen, eine kleine Uniform nebst einem befransten Dreispitz, einen Degen, kleine Stulpenstiefel und ein Spitzenjabot, das an dem Mannling, den er sich unwillkürlich so vorstellte, wie
er selbst als Knabe ausgesehen hatte, gewiß allerliebst wirken würde. Allerliebst, das war so ein Wort, auf das er unter normalen Umständen nie verfallen wäre und das ihm jetzt in Erwartung des
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