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Der König Von Korsika

Titel: Der König Von Korsika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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Architektur der Zisterzienser, da entdeckte Theodor, daß seine Schwester, eine Handarbeit auf den Knien, still und glatt im Kerzenschein sitzend wie ein
Gemälde Vermeers, stumm die Lippen bewegte, und nach kurzer Zeit war er beinahe sicher, daß sie die Rede des Grafen lautlos auswendig mitsprach.
    Aber er wollte der ersten Erschütterung – war die Ehe seiner Schwester eine derartige Hölle der Langeweile? – nicht zu sehr vertrauen. Seine Beobachtung mußte nicht unbedingt viel bedeuten, und schließlich war es ja auch von Vorteil, einen Gatten zu haben, der sich in religiösen Dingen auskannte – um so mehr, als Amélie immer fromm gewesen war, wenn auch eher im Tun als im Schwadronieren.
    Zudem wußte er, daß sie wußte, daß er sie beobachtete, also wandte er sein Gesicht wieder ostentativ Trévoux zu und ertappte sie aus den Augenwinkeln bei einem raschen, verhohlenen Gähnen. Auch er selbst war hundemüde. Aber der Graf öffnete noch eine weitere Flasche und prostete seinem Schwager zu. Erst jetzt kam Theodor der Gedanke, daß Trévoux hier in der Provinz wahrscheinlich nicht viele Gesprächspartner von einer gewissen Bildung und Weltgewandtheit fand und womöglich aus lauter Dankbarkeit die Höflichkeit ein wenig vernachlässigte.
    Amélie verabschiedete sich, die Herren standen auf, aber dann ließ Trévoux sich so zufrieden seufzend zurück in den Sessel fallen, daß Theodor es nicht wagte, sich ebenfalls zurückzuziehen.
    Dafür schützte er am nächsten Morgen ein leichtes Reisefieber vor, um der Jagd zu entgehen, zu der der Graf ihn eingeladen hatte. Wie erstaunt war Amélie, die noch von den Zeiten Mortagnes her wußte, wie sehr Theodor die Jagd verabscheute, am Vorabend gewesen: Jetzt verstand sie die Art seines Fiebers sofort. Kaum war die Jagdpartie außer Sicht, sprang Theodor aus dem Bett, erklärte, er fühle sich schon viel besser, und bestellte ein reichhaltiges Frühstück, das er in Gesellschaft seiner Schwester und des kleinen Friedrich oder Frédéric in seinem Turmzimmer einnahm.

    So entstanden Tableaus eines harmonischen Familienlebens, wert, von einem Glattmaler festgehalten zu werden, obwohl es dessen für Theodor nicht bedurft hätte, denn er durchlebte den Tag ohnehin, als betrachte er ein Bild aus ferner zukünftiger oder vergangener Zeit: Der junge Mann, die junge Frau, dazwischen der Knabe, Hand in Hand durch die Platanenallee schlendernd, an der sonnenbeschienenen Mauer des Obstgartens entlang, auf den sanft geschwungenen Wiesen von Linde zu Kastanie spazierend, im Wildgehege, die zahmen Rehe fütternd.
    Dieselben drei auf einem weißen Tuch, bedient von Larbi, der aus Weidenkörben gebratenes Huhn, Wein und Brot serviert, der Knabe spielt selbstvergessen mit dem hohen Gras, ein Entdecker im Urwald der Tropen.
    Im Haus mit starker Licht- und Schattenkontrastierung: Der junge Mann am Spinett, die junge Frau mit der Viola, geschlossenen Augen, konzentriert gespitztem Mund, kurze Blicke der musikalischen Verständigung zwischen ihnen, im Türrahmen die versunken lauschende Amme im hellblauen Kleid mit weißer Schürze und Haube, das Kind im Arm, dessen Kopf im Schlaf auf ihrer Schulter ruht, ein Ärmchen baumelt herunter.
    Was kein Maler festhält, nur die sich von Moment zu Moment schaffende Erinnerung: Das von den Hühnchenschlegeln tropfende Fett und der intensive Duft des frischgebackenen Brots, dazu die Schatten der über den Himmel segelnden Wolken und das melancholisch stimmende, weil an den Herbst gemahnende Windessäuseln im wie Meeresdünung gewellten hohen Gras, oder die rasch zwischen ihm und Friedrich pendelnden Augäpfel der Schwester.
    Es drängte ihn, die Frage zu stellen, die ihm schon seit dem Vorabend auf der Zunge brannte wie eine Aphthe; dutzendfach hatte er sie im Geist bereits formuliert, damit sie so unmißverständlich, aber auch so beiläufig wie möglich klänge, wenn er sie schließlich ausspräche.

    Nach der Musik, ein wenig außer Atem, die Haut gerötet, die Konzentration in herzlichem Gelächter ausatmend, war der Moment gekommen: Bist du glücklich, Amélie? Nicht einmal im Ton einer Frage, sondern so, als stelle er etwas Augenscheinliches fest.
    Sie wandte sich mit ernster Miene zu ihm. Ja, sagte sie erstaunt. (Warmer Schwall der Erleichterung.) Ja (und drehte sich dabei suchend nach ihrem Sohn um, als hätte er nach ihm gefragt, statt nach ihrem Glück). Ja, ich blicke nicht zurück, ich lebe vorwärts.
    Theodor schüttelte den Kopf,

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