Der König Von Korsika
bestätigt, an ein Einlenken Englands.
Er beabsichtigte, mithilfe des Verkaufs aller Informationen
über die spanische Politik, die er besaß, eine neue Existenz zu begründen und einen neuen Arbeitgeber zu finden – endlich den, vor dessen vernunftgeleiteter Diplomatie er schon seit Jahren den größten Respekt besaß.
Aber das langersehnte Mekka wurde zum Schauplatz einer empfindlichen Niederlage. Wie üblich bei Theodor hatte der Entschluß für eine akribische Vorbereitung aufzukommen, und seine großen Geheimnisse wurden, als er sie in London aufdeckte, mit einem Achselzucken quittiert. Er mußte erkennen, daß die Art von Geheimdiplomatie, die er in Versailles beobachtet und seither erlernt und perfektioniert hatte, hierzulande nicht gefragt war. In diesem hochorganisierten Zuträgernetz der Außenpolitik voll gut bezahlter und daher kaum bestechlicher Agenten, mit klaren Vorgaben, war für flamboyantes, maskenbehängtes Intrigenspiel kein Platz. Ihre Landsleute waren, wie Jane ihren Mann tröstete, terribly down to earth . Alles, was Theodor über Ripperdas Kabale zu berichten hatte, wußten sie bereits, und was sie nicht wußten, interessierte sie nicht. Er mußte sich eingestehen, im Land mit der modernsten Diplomatie Europas die von einem geheimen Agenten erwartete Fähigkeit akribischen statistischen Arbeitens nicht zu besitzen.
Das heißt, eingestehen mußte er es sich vielleicht, zugegeben hätte er es niemals.
Noch keinen Monat in der englischen Hauptstadt, erklärte Theodor seiner Frau, es sei nun genug mit der Tätigkeit, die er die letzten Jahre verfolgt habe, er sei ihrer zehnmal überdrüssig und wolle ein ganz anderes Leben führen, in dem es nicht mehr nötig sei, sich mit verborgener, unbedankter Arbeit zum höheren Ruhme anderer zu erniedrigen. Jane hatte nichts dagegen einzuwenden, obwohl sie soeben ihren Familienschmuck versetzt hatte, um die Miete der kleinen Wohnung beizubringen, die sie in einem zweifelhaften Londoner Viertel bewohnten.
Zu ihrem und seinem Glück besaß Theodor die Gabe, den letzten Fluchtweg einer in die Ecke gedrängten Ratte als Königsweg freier Entscheidung zu empfinden, und entwickelte jetzt, wo er vor dem Nichts stand und sein Leben verdienen mußte, ohne einen Posten oder eine erlernte Fähigkeit zu besitzen, zehnmal mehr Phantasie und Aktivität, als vermutlich notwendig gewesen wäre, seine alte Tätigkeit auch in England mit befriedigendem Erfolg weiterführen zu können.
Wurde das charmante, scharfzüngige Paar in Londoner Salons eingeladen, und das geschah öfter als es möglich war, solchen Einladungen nachzukommen, denn oft fehlte das Geld für ein angemessenes Auftreten – die Gesellschaft schnitt Theodor keineswegs, sie wußte nur allzu deutlich zu unterscheiden zwischen dem Unterhaltungswert und dem praktischen Nutzen des Barons -, wurden die beiden also irgendwo empfangen, nutzte Theodor solche Gelegenheiten, von Jane unterstützt, dafür, Gelderwerbsquellen aufzutun.
Er arbeitete auf dem Parkett der Stadtvillen als eine Art reisender Vertreter in eigener Sache. Es war nicht ganz leicht, den interesselosen, um nicht zu sagen desinteressierten Zynismus, die weltgewandte Blasiertheit und den nonchalanten Witz, der von Gästen wie ihm erwartet wurde, zu verbinden mit dem hungrigen und wachen Blick eines fußlahmen Raubtiers auf der Suche nach einem anspringbaren Opfer.
Der Druck, der an solchen Abenden auf ihnen lastete und von dem niemand etwas ahnte, noch ahnen wollte, fand sein Ventil in der erhitzten Erotik aller einsamen Paare, die sich in der romantisch-schäbigen Klause halblegaler Gegenwart und ungewisser Zukunft eingemietet haben.
Einmal erzählte Theodor vom jungen Händel und seinen venezianischen Orgel- und Cembalo-Duellen mit Scarlatti.
Ein kaum volljähriger flachsblonder Edelmann, von zuviel Madeira kühn gestimmt, forderte ihn daraufhin zu einem solchen Wettkampf heraus. Ein Klavier wurde herbeigeschafft, und Theodor, die Brauen, Schultern, Flammenaugen und den klaffenden Mund ebenso theatralisch einsetzend wie die Hände, erzielte einen einstimmigen Punktsieg gegen einen zugegeben nicht ebenbürtigen Gegner, dessen Familie ihn daraufhin einlud, die Sommerwochen auf ihrem Landsitz nahe Reading zu verbringen.
Bevor er annahm, vergewisserte er sich allerdings, daß alle Mitglieder der Familie gleich unmusikalisch waren, um bei nachmittäglichen Tafelmusiken und abendlichen Konzerten am Cembalo, mit wilden Gesten und von Jane
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