Der König Von Korsika
Persönlichkeit des Grafen bald freundschaftlichen Charakter annahm und in dem Vorschlag gipfelte, Theodor und seiner Familie ein Gut aus eigenem Besitz zu verkaufen und ihn als Bruder unter Brüdern zu einem Leben sympathischer Gemeinschaft willkommen zu heißen.
Theodor warb in Briefen und Worten für Zinzendorfs Gemeinde, erhielt dafür vom Grafen eine großzügige Summe geschickt, die die Begleichung Londoner Schulden, die Heimholung Larbis und ein standesgemäßes Übersiedeln samt Katzen ermöglichte.
Im Frühjahr 1726 ging die Reise nach Kursachsen vonstatten.
Zehntes Kapitel
Zunächst war nur das schrille Schreien zu hören, von nirgendwoher, als sei die Luft selbst in schwingende Aufregung versetzt. Die Bauern blickten von ihren Pflügen auf, die Katze flüchtete mit an den Boden gedrängtem Leib ins Haus, der Hund bellte, Jane kam auf die Terrasse gelaufen, und Theodor legte sein Buch beiseite und trat an das Dachgaubenfenster seiner Bibliothek, um zu sehen, was geschehen war.
Sehr hoch droben am Himmel verlief, wie mit feiner Feder ins Blau gezeichnet, eine spitz zulaufende Welle. Sie bewegte sich voran, dehnte sich aus, zog sich wieder zusammen und zitterte im Licht. Das Schreien klang so nah, daß es kaum mit diesem vagen Anblick zu tun zu haben schien. Dann kristallisierte die flimmernde Welle sich zu einem Keil aus vielleicht vierzig Kranichen, der aus Norden kommend und nach Süden zielend, weit, weit über ihren Köpfen vorüberflog.
Schon waren sie über die schauenden Menschen hinweg, übers Haus hin verschwunden, zogen schon über den nächsten Hügel, auf dessen Kuppe, von Ulmen und Linden umstanden, das Zinzendorf’sche Haus gebaut war, lösten sich in Lichtstaub auf.
Kaum war die erste Formation außer Sicht, rauschte wieder das helle Schreien auf, und mit dem Zugfernrohr jetzt unten bei Jane auf der Terrasse stehend, blickte Theodor Richtung Norden und sah den nächsten Schwarm wie ein im Wind flatterndes gegabeltes Banner. Die schönen
gestreckten, langhalsigen Körper, der majestätisch ruhige, rhythmische Flügelschlag. Die Spitze des Keils hielt in vollkommener Ruhe Kurs, folgte zuversichtlich und blind ergeben ihrem Instinkt in den Süden.
Insgesamt zogen an diesem Tag vier Gruppen vorüber, einmal verformte der Keil sich zur Spirale, die führenden Vögel verließen ihre Linie, und wie eine luftige Schleppe folgten alle anderen dem Gekreisel. Der Schwarm wartete auf Nachzügler, drehte einige Schleifen hoch über den zwei, drei Gutshäusern an den Hügelflanken, dem kleinen Weiler mit der Kirche in der Senke, dann stieg der Leitvogel steil nach oben, und aufgeregt schreiend reihten die übrigen Kraniche sich in die Formation zurück, hintereinander und leicht zueinander versetzt, und nahmen ihre Route wieder auf.
Sie flogen schnell. Von dem Moment an, da man sie im Norden erkennen konnte, bis zu ihrem Verblassen im verwaschenen Blau des mittäglichen Himmels vergingen kaum zwei Minuten.
Jane blickte ihnen nach und sagte: Reisende über dem Wind...
Dies war im Oktober ihres ersten Jahres in Berthelsdorf. Ende Februar des folgenden hörten und sahen sie die Kraniche wieder auf ihrem Rückflug in den Norden, und Theodor fühlte sich wie ein Vater, der seine Kinder empfängt, die von großer Reise heimkehren.
Die Jahre darauf war der freudige Schock natürlich geringer, eine Epiphanie war die Musik der Kraniche nur jenes erste Mal gewesen, aber in den späten Oktobertagen wirkte das Schreien und das im kalten Wind über sie hinwegflatternde Banner wie das Menetekel des bevorstehenden Winters, und der erste Schwarm unter der tiefen Februar-Wolkendecke brachte Hoffnung auf das Wiedererstehen des Lebens. Und jedesmal kam Theodor das Wort seiner Frau in den Sinn: Reisende über dem Wind.
Schon der Tag ihrer Ankunft in Berthelsdorf war denkwürdig verlaufen. Als der Kutscher sich durchgefragt hatte und Theodor und Jane staubig, verschwitzt und mit zerschlagenen Gliedern ausstiegen, wurden sie vor der Tür ihres zukünftigen Heims von Zinzendorf und seiner Frau empfangen, die im Nieselregen Hand in Hand unter dem Vordach standen und gewartet hatten. Sie kamen zum Wagen und begrüßten das fremde Paar mit dem Bruderkuß; das war verwirrend, brach aber zugleich das Eis. Daraufhin allerdings umarmten sie auch den verblüfften Larbi und nannten ihn Bruder, so daß Theodor ihn am späten Abend anzischte: Bilde dir keine Schwachheiten ein. Du bist und bleibst mein Diener. Und der in den
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