Der König Von Korsika
durchquerte ihn, stand wieder in der Sonne und atmete auf. Er hatte das Gefühl, über den weiten Platz zu schweben und wenn nötig mit einem Sprung über die Köpfe der Passanten hinwegsetzen zu können. Schon vorhin
wäre er fähig gewesen, mit einem Satz den schlammgelb in seine tiefsten, grün bewachsenen Furchen zurückgezogenen Arno zu überqueren. Er fühlte sich so frei und leicht, als hätte man ihm das Herz und die Seele herausoperiert.
Nur ein-, zweimal am Tag, an einem dieser sonnigen italienischen Tage mit der Aussicht auf einen Tee mit Ironie in der englischen Handelsmission, ein Abendessen voll frivoler Geschwätzigkeit, nächtliche Mysterien tastender Lust und die Flucht vor der postkoitalen Traurigkeit in den anbrechenden Morgen, an solchen florentinischen Tagen mit ein wenig Papierkram und offiziellen Gesprächen in einer Opernloge, oder wenn er in der Messe die ganze katholische Seelenliederlichkeit genoß und komplizenhaft der zwischen all dem Gold und Weihrauch verblassenden Heiligkeit zuzwinkerte, einmal pro Tag mit Sicherheit geschah es, daß er plötzlich aus dem aquamarinblauen Süden in die erbarmungslose Kargheit eines sächsischen Februarmorgens katapultiert wurde und die Stimme des Herrn, müde und angeekelt, zu ihm sprach: Was hast du getan? Und Larbi starrte ihn wieder an wie ein unschuldig zum Tode Verurteilter. Wie alt er plötzlich aussah, grauhaarig, gebeugt, und dann begann er zu weinen, das war das Erschütterndste gewesen. Sein Diener seit fünfzehn Jahren, nie hatte Theodor sich sonderlich um Larbis Gefühlsleben geschert, und der tat, Schatten seines Herrn, genau das, was diesem verwehrt war: Er weinte. Er starrte ihn an, draußen vor dem Pferdestall war das gewesen, die Gerüche dampften intensiv aus dem warmen Stall heraus, Pferdehufe scharrten auf der harten Erde, eine Schwalbe im Mönchskleid zickzackte dicht über dem Boden, Regentropfen trommelten auf die Schindeln, Wasser gluckerte in die Regentonne, und Larbi starrte ihn an, und Tränen schossen in seine Augen, er verstand nicht, warum sein Herr sich davonmachen wollte.
Theodor hatte sich abwenden müssen, und da wurde ihm klar, daß er einen Diener, dessen Präsenz ihn den Rest seines
Lebens daran erinnern würde, was er getan hatte, nicht mitnehmen konnte. Vor allem aber hatten Larbis Tränen ihm jeden Mut zu Erklärungen geraubt, die es ohnehin nicht gab. Vielleicht floh er einfach vor der Perfektion der Bilder.
Theodor war nicht mehr hinauf zu Jane gegangen, er hatte sie nicht mehr gesprochen, er hatte sich einfach aufs Pferd gesetzt und war nach Süden geritten.
Sah er jetzt beim Spazierengehen oder Ausreiten zufällig die blutiggepeitschten Nüstern eines Ochsen im Joch oder beobachtete, wie man einem Esel die Vorderbeine brach, dann spürte er Larbis Tränen wie eigene Schmerzen und sah die graue Haut und die unendlich müden Augen Janes auf dem weißen Laken, wenn sie wieder mühsam eine Fehlgeburt überstanden hatte und drüben über dem Hügel gebar die verwünschte Erdmuthe ihrem Zinzendorf das achte oder neunte gottgewünschte Balg.
Stand am Wegesrand ein schwer von Früchten überhängender Pfirsichbaum, der ihm seine Äste beinahe wie Arme entgegenstreckte, in der Art eines naiven Burschen vom Lande, der vor lauter Dankbarkeit, so viele Gottesgaben erhalten zu haben, seine Köstlichkeiten links und rechts an vorübergehende Fremde verschenkt, so senkte er beschämt die Augen und gab seinem Pferd die Sporen, daß der weiße Wegstaub den Blick zurück vernebelte.
Ein-, zweimal am Tag geschah das, und er gewöhnte sich daran, wie er sich in seiner Jugend an seine fetten Hüften gewöhnt hatte, an seine mangelnde logische Auffassungsgabe, später an die faulenden Zähne, die ergrauenden Schläfen. Man gewöhnt sich an alle seine Mängel, schließlich muß man ein Leben lang mit sich aushalten und kann Knochen, Fleisch und Haut nicht einfach irgendwo in den Stiefeln stehen lassen und in den nächstbesten Körper fahren wie ein Inkubus. Um so weniger, als das Risiko bestand, im Leib eines anständigen, grundlangweiligen Kerls zu enden, dessen Wege zu keinem Schicksal führten.
Also akzeptierte Theodor, wenn er eine Frau in einem Fenster ihre gelbe, auf dem Sims ruhende Katze streicheln sah oder eine dicke Amme mit vier Kindern durch die Gasse watscheln oder in der Kirche von hinten eine knieende Frau mit langem, schlankem Hals und Haarknoten erblickte oder wenn die Gattin eines englischen Großhändlers
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