Der König Von Korsika
als all seine jugendliche Emphase von früher, der mit melancholischer Genugtuung spürt, daß dort, wo Liebe, Glaube und Begeisterung verkümmert sind, Erfahrung ausgeschlagen hat und zu Meisterschaft gewachsen ist – ganz so fühlte er sich und erging es ihm, seit er an jenem Februarmorgen Berthelsdorf den Rücken gekehrt hatte.
Nicht nur hatte er keineswegs die Fähigkeit verloren, einen Raum zu betreten und sofort die Hierarchien der Anwesenden genau einzuschätzen, den richtigen Leuten das Richtige zu sagen und Vertrauen zu erwerben, viel wichtiger war, daß er selbst nicht in Vergessenheit geraten war. Man erinnerte sich seiner, und dank der Redgrave abgeschauten Zeichensprache, auf die mehrmals reagiert wurde – auch wenn Theodor, mangels eines zweiten Bürgen, gar
nicht offiziell in die Londoner Großloge aufgenommen worden war -, hatte er nach weniger als einem Monat in Wien eine Einladung in die Hofburg erhalten, wo man ihm anbot, als einer der Gesandten die Interessen Habsburgs und des Reiches im Großherzogtum Toskana zu vertreten.
Mit einer gewissen Romantik sah er sich als einen jener Männer, die in den Feuern der Lebensleiden gehärtet worden waren. Männer der Tat, unsentimental, leidenschaftslos, wie er ihnen früher manches Mal begegnet war und keinen Zugang zu ihnen gefunden hatte. Männer, die ihren Idealismus auf den Altären ihrer Jugend abgelegt haben. Männer, die von ihren Freunden, ihren Geliebten getäuscht worden sind und gelobt haben, niemandem mehr zu trauen, die freundlich sind, aber verschlossen, die befehlen, nicht bitten. Männer, die das Leben verbittert hat, aber nur in ihrem Kern, der ist hart und unbiegsam geworden. Die Notwendigkeit zu überleben hält sie außen elastisch wie Weidengerten, und es gibt nur eines, wonach sie sich richten: Kenntnisse, nicht Gefühle.
Ja, so einer war er auch, selbst wenn es, wie er sich eingestehen mußte, keinesfalls die Enttäuschungen des Lebens waren, die ihn gestählt und vereinsamt hatten, das Leben hatte es eigentlich immer gut und behutsam mit ihm gemeint und er sich immer weich gebettet in ihm und sich keine Askesen und Disziplinen zugemutet. Wenn er also verbittert und ein wissender, zielstrebiger Mann geworden war, dann konnte es nur an der eigenen Treulosigkeit liegen. Er hatte sein Herz nicht zugemauert wie jene, er hatte es am Spieltisch des Lebens versetzt, um zu sehen, wie es sich ohne lebt. Und es lebte sich entschieden leichter.
Wenn das Auge die Welt dreidimensional wahrnimmt, so sieht das Herz noch allem eine vierte Dimension hinzu: Betrachtet man einen Baum, so erkennt man ihn nicht nur in aller Tiefenschärfe vor seinem Hintergrund, man erinnert sich zugleich des Frühlings, als er eine duftende
Schmetterlingswolke hauchzarter weißrosa Blüten war, man sieht ihn dürr und tot mit nassen schwarzen Ästen im Winter oder nach dem Blitzschlag, man erinnert sich der Küsse in seinem Schatten und fühlt ihn wachsen wie sich selbst unter den vergehenden und wiederkehrenden Himmeln von Angst und Hoffnung. Jetzt war alles, was er betrachtete, flacher, manchmal hatte er den Eindruck, die ganze Welt sei platt wie ein Theaterhorizont. Jene eine Dimension, in der die Freude herrscht, aber auch die Furcht, war unsichtbar geworden. Was nicht hieß, daß er die Tage nicht genoß.
Wenn er ein Fest gab oder ein Essen, drängte sich ganz Florenz vor der Tür seines Palazzo. Die alten Patrizier, die englischen Großhändler, die latifundienbesitzenden Jesuiten, der purpurne und violette Haufen der Kirchenfürsten, die adeligen Winzer aus den Hügeln der Umgebung, Reeder aus Livorno, Diplomaten aus Savoyen, Sardinien, Genua, Frankreich und Neapel.
Feste und Diners, Landpartien und Segeltörns und Gesandtschaftsempfänge waren amüsant und zerstreuend, solange sie dauerten, aber danach lag Theodor regelmäßig wach und kaute an dem schalen Gefühl, seine schönen Sprünge über zu niedrige Hindernisse zu vollführen, was noch grotesker aussieht, als an zu hohen zu scheitern.
Es war wie am Spieltisch. An kleinmütigen Tagen setzte man nicht viel und gewann wenig, aber wie erbärmlich war die Genugtuung über einen mäßigen Gewinn, verglichen mit der alle Nervenfasern anspannenden, den heißen Kopf bis zur Hellsichtigkeit ausglühenden Erwartung, wenn man hoch gesetzt, alles gesetzt, mehr gesetzt hatte, als man besaß – und dann verlor!
Denn Theodor hatte in Florenz wieder zu spielen begonnen, machte Schulden und erinnerte sich wie
Weitere Kostenlose Bücher