Der König Von Korsika
ein verstockter, stolzer Sünder der Pariser Zeiten, als er ebenso agiert hatte, im Wissen, die Stadt irgendwann, wenn er sich
bei allen Gläubigern unmöglich gemacht hatte, verlassen zu müssen.
Er war auf dem besten Wege, von neuem in einen gemütlichen Trott zu verfallen, wenn man denn die Einstellung, das Leben wie einen Kettenhund so lange zu reizen, bis es sich losriß und man Hals über Kopf flüchten mußte, einen Trott nennen will. Dabei konnte nur das Außerordentliche den begangenen Treuebruch rechtfertigen. Wenn er schon die Liebe geopfert hatte, dann doch, um seine Arme für das Große und Ungewöhnliche frei zu haben.
Aber was soll ich tun, um von dir zu hören, all der Schmerz habe sich letztendlich gelohnt, fragte er sich im Geiste und floh in die Arme irgendeiner Frau, in deren Gliedmaßen, Worte oder Gesten er sich verliebt hatte, sorgfältig vermeidend, den ganzen Menschen anzusehen. War der Zimmerbrand seiner Lust gelöscht, blieb auch von der Verliebtheit nur noch ein Aschehäufchen, das in alle Richtungen zerstäubte, sobald er morgens die Tür öffnete und ging. So wollte es Theodor und wagte nicht, zu entscheiden, ob dies die ihm gemäße Form der Liebe sei.
Wann genau die Zeit begann, sich zu beschleunigen, die einzelnen Ereignisse sich zusammenballten wie Gewitterwolken, er hätte es später nicht mehr zu sagen vermocht. Auch nicht, ob und inwieweit er selbst etwa diese Klimaveränderungen mitbewirkte und der Geschichte, aus seiner Lethargie erwachend, einen Schub versetzte, sozusagen indem er der Geschwindigkeit der Zeit seine eigene hinzuaddierte, das heißt, ob ohne ihn, sein zu Beginn völlig willenloses, unauffälliges und belangloses Mitwirken, die Dinge denselben Lauf genommen hätten.
Eines jedenfalls war klar: Entgegen allen später geschriebenen Legenden und Kommentaren, die er zu Gesicht bekam, hatte Theodor in diesem Sommer 1732, als er während und direkt im Anschluß an den Kongreß von Corti nach
Genua geschickt wurde, keinen Plan, keine Meinung, keine Absicht und vorderhand auch noch so gut wie keine Kenntnis von den Problemen der Republik mit dem von ihr besetzten und zu ihr gehörenden Eiland Korsika.
Er stellte nur mit gemischten Gefühlen fest, daß die freie Zeit, in der er träumen konnte, im Irrgarten der Erinnerung hinter Wegbiegungen auf schöne und erschreckende Bilder traf und sich Zukünfte ausmalte, daß diese Momente seltener wurden. An manchen Tagen war er stolz darauf. Er war bald vierzig Jahre alt, es war Zeit, einen gönnerhaften Ausflug in die Art von Existenz zu unternehmen, unter der die meisten litten, nämlich schon ab ihrem fünfzehnten, zwanzigsten Lebensjahr von Geschäften aufgefressen zu werden, die ihnen jede Muße nahmen, ihr eigenes Leben abschweifend und kommentierend zu begleiten.
Der General Wachtendonk, den Theodor in Livorno traf, war ein Militär durch und durch, so daß der Gesandte sogleich, um ein Gespräch zu ermöglichen, sich in einen Veteranen verwandelte und mit einer gewissen Freiheit von den Feldzügen seines Vaters nach Worms, Speyer und Heidelberg berichtete und schilderte, wie er selbst unter dem Befehl des glorreichen Soldatenkönigs Karl von Schweden Arm in Arm mit Mazeppa bei Mohilew und Poltava gefochten hatte.
Dem General, der, wie Theodor richtig vermutet hatte, niemandem mehr mißtraute als Salonpolitikern, lösten diese Erzählungen, glaubhaft und fesselnd, wie sie auch deshalb waren, weil Theodor, während er sie erfand, auf die Bibel geschworen hätte, tatsächlich aus seiner eigenen Erinnerung zu schöpfen, die Zunge, und er hob zu Erklärungen an, mühsam, wie ein schwerer Heuwagen, den nur ein einziger Ochse zieht, ins Rollen kommt.
Sehen Sie, Baron, dieses Korsika ist letztlich ein simples Problem. Die Topografie der Insel, nur Berge und Schluchten und Wald und Macchia, macht es völlig unmöglich, sie
zur Gänze zu erobern und restlos zu säubern. Ich habe viertausend Mann da drüben stehen, kräftige Hessen, die vor nichts zurückschrecken, aber selbst mit vierzigtausend bekäme ich die Insel nicht frei von allen Aufrührern und Banditen. Das ist das eine. Das andere ist, daß sie dort nichts haben. Geld schon gar nicht, aber auch keine Landwirtschaft, keinen Bergbau, keinen Handel, nichts. Im Inland leben die Leute von Kastanien. Das heißt, Korsika braucht seine Häfen als Lebensadern. Die wiederum hat Genua zu Festungen ausgebaut, und wir haben sie, sofern die Rebellen dort saßen, wieder
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