Der König von Luxor
Grabungsfund gleichgültig begegnet.«
Und Percy Newberry, der seine hervorragende Bildung nur selten zeigte, bemerkte: »Sir, Ihre Worte erinnern mich an den griechischen Geschichtsschreiber Herodot, der ein halbes Jahrtausend vor der Zeitenwende die Sitten und Gebräuche der Ägypter beschrieben und gesagt hat, bei den Ägyptern sei alles anders, der Himmel, die Flußläufe und die Menschen. Sogar beim Wasserlassen verhielten sich die Ägypter anders als alle anderen Menschen, indem sich die Männer hinkauerten, während die Frauen ihr Geschäft im Stehen verrichteten. Entschuldigen Sie, Mrs. Petrie.«
»Schon gut!« rief Hilda Petrie aus dem Hintergrund. »Auf mich brauchen Sie keine Rücksicht zu nehmen.«
Sie hatte den Satz kaum beendet, da stieß Mrs. Petrie einen Schrei aus, daß Selima hochschreckte und Carter aufsprang. Sie deutete stumm zur Decke. Jetzt sah es auch Carter: Die aus Schilfrohrbündeln gefertigte Decke des Hauses schien zu leben. Heuschrecken nagten an den Halmen und hatten bereits die ersten Löcher in das Geflecht gebissen.
»Heiliger Echnaton«, stammelte Flinders Petrie, »das ist das Ende.« Er warf Carter einen hilfesuchenden Blick zu, als wollte er sagen: Sie haben uns schon einmal geholfen. Was sollen wir jetzt tun?
Doch Howard Carter wußte selbst keinen Rat.
An manchen Stellen fielen bereits Heuschrecken von der Decke, und Petrie und Newberry versuchten die Tiere zu zertreten. Das gelang nicht immer, und bald schon schwirrten zahlreiche Insekten durch den Raum.
»In Nubien«, erklärte Selima, »verwendet man Feuer gegen Heuschrecken.«
Carter sah das schwarze Mädchen ratlos an. »Sollen wir etwa das Haus anzünden?«
Selima nickte und bedeutete, er solle auf dem Fußboden ein Feuer machen.
»Sir?« Howard wandte sich Flinders Petrie zu.
Petrie überlegte kurz. Unschlüssig erwiderte er: »Vielleicht ist es wirklich die letzte Rettung. Jedenfalls können wir nicht tatenlos zusehen, wie die Heuschrecken über uns herfallen. Ich schlage vor, wir ziehen uns in die Küche zurück, und Sie machen hier Feuer, Mr. Carter.«
Aus dem Küchenherd holte Howard mit einer Schaufel Glut und schüttete sie behutsam auf den Boden. Dann suchte er nach Brennbarem, um dem Feuer Nahrung zu geben. Und weil das Holz knapp und obendrein an der Außenwand des Hauses gestapelt war, holte Carter einen hölzernen Stuhl aus seinem Zimmer und zertrümmerte ihn neben der Feuerstelle. Die Scheite legte er übereinander auf die Glut.
Es dauerte nicht lange, und das Feuer verströmte heftigen Qualm. Mit einem nassen Handtuch, das er über Mund und Nase band und im Nacken verknotete, versuchte Howard, sich beim Atmen Erleichterung zu verschaffen. Der Rauch war kaum zu ertragen, aber er zeigte die beabsichtigte Wirkung. Die Heuschrecken ließen von der Decke ab.
Im Küchenraum des Hauses, der mit einer aus Lehmziegeln gemauerten Kuppel gedeckt war, dämmerten die Fünf, auf dem nackten Boden liegend, dem Morgen entgegen, als plötzlich, von einem Augenblick auf den anderen, das Brummen, Dröhnen und Flirren nachließ.
Sie hatten die letzten Stunden hustend, prustend und stumm verbracht, um Luft zu sparen, und Mrs. Petrie hatte dabei mehrmals das Bewußtsein verloren. Nun mißtrauten alle der plötzlichen Stille. Sie hatten achtzehn Stunden ausgeharrt, achtzehn Stunden in Todesangst, achtzehn Stunden, in denen sie mehrmals geglaubt hatten, daß alles zu Ende sei. Und nun? Die plötzliche Stille wirkte unheimlich, beängstigend, sogar drohend, als hätten sie nun noch Schlimmeres zu erwarten. Keiner wagte es, nach dem Rechten zu sehen, denn keiner wußte, was einen draußen erwartete.
»Hilda!« Petrie versuchte, seine Frau, die schon seit geraumer Zeit kein Lebenszeichen mehr von sich gab, wachzurütteln. »Hilda!« rief er ein um das andere Mal.
Howard beobachtete die Szene angstvoll aus nächster Nähe. Er saß wie Petrie mit gekreuzten Beinen auf dem Boden. Plötzlich sprang Flinders Petrie auf und lief zur Haustür. Dabei rief er aufgelöst: »Sie stirbt, sie stirbt, wenn sie nicht augenblicklich frische Luft kriegt.«
Und noch ehe ihn jemand hindern konnte, riß Petrie die vernagelte Haustüre auf. Starr vor Schreck, sahen Carter und Newberry zu, wie Petrie seine Frau unter den Achseln packte und rücklings ins Freie schleifte.
Vorsichtig folgte Howard Mr. Petrie nach draußen.
»Wasser!« schrie Flinders Petrie, »holen Sie einen Eimer Wasser aus der Küche.«
Howard kam der Aufforderung
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