Der König von Luxor
überlegen«, meinte er schließlich, »bis Luxor ist es noch weit.«
Die Worte seines Gegenübers gingen an Carter vorbei, denn er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die verschleierte Dame ihn seit geraumer Zeit beobachtete. Wenn er ihren Blick erwiderte, gab sie sich den Anschein, als würde sie über ihn hinwegsehen. Doch hinter ihm lag nichts als die Dunkelheit des Nils.
Inzwischen wurde das Oberdeck von grell flackernden Ampeln erleuchtet, und Brugsch plauderte noch immer über die Untugenden der Ausgräber. Da faßte sich Carter ein Herz und stellte Brugsch die Frage: »Verzeihen Sie, Sir, kennen Sie den Namen der verschleierten Dame dort an der Reling?«
Brugsch reagierte verärgert, mußte er doch erkennen, daß der junge Engländer seiner Rede wenig Interesse entgegenbrachte. Trotzdem entgegnete er mit gespielter Höflichkeit: »Bedauere, nein. Aber sie ist wirklich eine außerordentliche Frau. Noch dazu alleinreisend. Ich werde mich umgehend erkundigen. Einen Augenblick.«
Brugsch erhob sich und ging, ohne den Blick von der fremden Dame zu lassen, zu einer Treppe, die steuerbord auf die Brücke führte. Wie es schien, war Brugsch auf dem Nildampfer nicht unbekannt; denn als er das obere Ende der Treppe erreicht hatte, öffnete sich eine Tür wie von selbst, und der Deutsche trat ein. Carter konnte beobachten, wie er auf der Brücke mit dem Kapitän, einem hochgewachsenen Ägypter mittleren Alters, ein lebhaftes Gespräch führte.
Zurückgekehrt, berichtete Brugsch, was er über die fremde Frau in Erfahrung gebracht hatte. Nach Aussage des Kapitäns handelte es sich um eine alleinreisende Engländerin. Die junge Lady habe vor kurzem ihren Mann verloren. Nun versuche sie auf einer Ägyptenreise über den Schmerz hinwegzukommen. Sie scheine vermögend zu sein. Jedenfalls habe sie die Suite auf dem Vorderdeck des Dampfers bis Luxor gebucht und im voraus bezahlt, ohne einen Namen anzugeben. »Soll ich die Lady zu uns bitten?«
Howard starrte unentwegt auf die Unbekannte, deren Schleier bisweilen vom Fahrtwind erfaßt wurde und wie der weite Flügelschlag eines Ibis zu flattern begann. Er antwortete nicht, er sah nur, wie Brugsch auf die fremde Dame zutrat, sich höflich verbeugte und mit einer Handbewegung zu ihm hin eine Einladung aussprach.
Carter war aufgeregt. Er spürte seinen Herzschlag im Hals. Seine Aufregung wurde so stark, daß er daran dachte fortzulaufen, hinunter zum Achterdeck, wo er hingehörte. Aber als er gerade aufspringen wollte, sah er, wie die Unbekannte den Kopf schüttelte, sich umwandte und dem Vorderdeck zustrebte.
»Eine etwas spröde Dame«, näselte Emil Brugsch, »wunderschön, aber spröde. Sie lehnte dankend ab. Vermutlich eine von der Sorte, die erobert werden will.«
Howard schwieg. Aber an seinen unruhigen Augen konnte Brugsch erkennen, wie sehr diese Frau ihn faszinierte. Carter hielt noch immer den Blick auf die Reling gerichtet, wo die Fremde sich aufgehalten hatte.
»Sie hatte dunkle Augen!« bemerkte Carter tonlos.
»Ja. Pechschwarz!«
»Und geschwungene, kräftige Brauen.«
»Genau so!«
»Und eine samtige Stimme.« Carter sah Brugsch fragend an.
»Eine samtige Stimme? – Ich weiß nicht. Auf ihre Stimme habe ich am allerwenigsten geachtet. Kann sein.«
Howard öffnete seine lederne Brusttasche und holte die Photographie hervor. »Könnte es diese Frau gewesen sein?«
Brugsch betrachtete das Bild längere Zeit, für Howards Empfinden viel zu lange, so daß er seine Frage eindringlich wiederholte: »Könnte es diese Frau gewesen sein, Mr. Brugsch?«
Brugsch gab sich unentschlossen, verzog das Gesicht und antwortete, nachdem er das Bild von allen Seiten betrachtet hatte, als würde es sich dadurch verändern: »Schwer zu sagen. Mit Photographien ist das so eine Sache. Sie wissen das, Mr. Carter. Man setzt im Atelier sein Sonntagsgesicht auf. Doch die meisten Menschen kennt man nur von Montag bis Sonnabend. Nein, ich glaube nicht, daß das die englische Witwe ist. Aber gestatten Sie mir die Frage: Welche Bewandtnis hat es mit dieser Photographie?«
Carter ließ das Bild in seiner Brusttasche verschwinden und blickte schweigend auf die rauhen Planken des Schiffes. Dieser Brugsch war ihm viel zu unsympathisch, und außerdem kannte er ihn zu wenig, um ihn in sein Geheimnis einzuweihen. Howard war sich plötzlich sicher, daß es sich bei der rätselhaften Dame um Sarah handelte. Schließlich kannte er ihre Art, sich zu bewegen, und ihm war jede
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