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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Geste, jeder Blick von ihr gegenwärtig. Was Brugsch über sie in Erfahrung gebracht hatte, stimmte durchaus mit Sarah überein. Beunruhigt zeigte sich Carter nur, daß Sarah Jones sich ihm nicht zu erkennen gab. Was in aller Welt mochte sie zu diesem Theater bewegen? Seine Sinne spielten verrückt. Er fühlte Schwindel. Sein Magen rebellierte.
    »Entschuldigen Sie«, unterbrach der Deutsche Carters Gedankenflut, »Sie nehmen doch noch einen Whisky?«
    Carter nickte zustimmend, und die beiden Männer vertieften sich erneut in eine ziemlich einseitige Unterhaltung über die Machenschaften der Ausgräber. Längst hatte Howard das Interesse daran verloren, doch er wartete darauf, daß sich die rätselhafte Dame noch einmal blicken ließe. Er hatte den Entschluß gefaßt, einfach auf sie zuzugehen und sie anzusprechen. Unentwegt starrte er auf die Stelle, wo sie gestanden hatte, als habe sie dort ihren Schatten zurückgelassen.
    Vom Achterdeck herauf drang noch immer der Lärm der Dritte-Klasse-Passagiere. Carter hatte seinen Koffer so abgestellt, daß er ihn als Schlafstätte unter freiem Himmel benutzen konnte. Doch in Anbetracht der Musik und des lauten Geschreis zog er es vor, bei Brugsch auf dem Oberdeck zu bleiben.
    Der Steamer nutzte die mondhelle Nacht und dampfte mit voller Kraft nilaufwärts. Bisweilen wirbelten beißende Rauchschwaden auf das Deck. Gegen Mitternacht erreichte er Assiut. Schon von weitem hörte man das durchdringende »Lililililili« der Klageweiber, und noch während der Dampfer an der Anlegestelle vertäut wurde, erschallten vom Ufer die Rufe: »Der Khedive ist tot! Mahschallah! – Wie Gott will! Der Khedive ist tot!«
    Mit Morsedepeschen war das Ereignis von Kairo in alle Provinzhauptstädte Ägyptens gemeldet worden. Von dort hatte sich die Nachricht wie ein Lauffeuer über das ganze Land verbreitet. Das also war die Ursache für das tausendfache »Lililililili« der Klageweiber am Nilufer, von dem sie seit Stunden verfolgt wurden.
    »O weh«, bemerkte Emil Brugsch in leicht ironischem Tonfall.
    Carter warf einen Blick hinab auf die Menschen, die im Halbdunkel auf das ohnehin überladene Dampfschiff drängten. »Der Tod des Khediven bedeutet wohl nichts Gutes für das Land?« erkundigte sich Howard vorsichtig.
    »Ach, wissen Sie, Mr. Carter«, entgegnete Brugsch, »ich lebe so lange in diesem Land, daß mich eigentlich nichts mehr erschüttert. Ich habe schon zwei ägyptische Vizekönige überlebt, und beim Tod eines jeden heißt es, schlimmer kann es nicht mehr kommen. Aber diese Behauptung erweist sich jedesmal als Irrtum. Es wäre bereits bemerkenswert, wenn Taufik Pascha eines natürlichen Todes gestorben wäre. Selbstverständlich ist das hierzulande nämlich nicht, und auch Taufik war längst nicht so alt, wie er aussah.«
    »Ich hoffe, Sie geben nicht uns Engländern die Schuld an der Misere, Mr. Brugsch! Ich weiß, wir Engländer sind nicht sehr beliebt in Ägypten. Aber ohne uns wäre das Chaos in diesem Land noch viel größer. Sie wissen doch, Ägypten war bankrott, und wir haben zusammen mit den Franzosen die Schulden des maroden Landes übernommen.«
    »Ja, aber um welchen Preis, Mr. Carter! Ägypten hat doch praktisch aufgehört zu existieren. Lord Cromer trägt zwar offiziell nur den Titel eines britischen Generalkonsuls, aber in Wahrheit ist er der König von Ägypten, und dem Khediven kommt nicht mehr als eine peinliche Statistenrolle zu. Außerdem wird der wichtigste Posten in der Regierung, das Finanzressort, von Sir Rivers Wilson, einem Engländer, eingenommen. Das sagt doch wohl alles.«
    Brugschs Worte gingen an Howard vorbei wie das Plätschern eines Gewässers. Er vernahm seine Stimme, aber in Gedanken war er bei der geheimnisvollen Dame. »Sie ist es. Sie muß es sein!« sagte er halblaut vor sich hin.
    »Wie meinen Sie, Mr. Carter?« Brugsch hielt die Hand an sein Ohr.
    Carter blickte irritiert. »Ach, nichts.«
    Der Schaufelraddampfer legte ab und nahm wieder Fahrt auf. Von den Ufern des Nils, die südlich von Assiut näher zusammenrücken als anderswo, schallten die Lililili-Rufe schriller als zuvor.
    Der Whisky blieb nicht ohne Wirkung. Howard fühlte, wie seine Glieder schwer wurden. Er mußte befürchten, daß er den Weg zurück zum Achterdeck nicht mehr mit eigener Kraft bewältigen würde. Deshalb erhob er sich mühsam, und ohne ein Wort zu verlieren, wankte er der schmalen Treppe entgegen, die nach unten führte.
    Auf dem Achterdeck war Ruhe eingekehrt.

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