Der König von Luxor
Umständlich kletterte Carter auf seinen Koffer und legte sich zur Seite, wobei er seine Tasche als Kopfkissen gebrauchte. Sein letzter Gedanke galt Sarah. Dann übermannte ihn der Schlaf.
Ein gellender Hahnenschrei aus einem der Käfige riß Howard aus seinen Träumen. Es war heller Tag, und der Postdampfer stampfte träge flußaufwärts. Howard fühlte sich elend. In seinen Knochen steckte noch die Müdigkeit. Aber an Schlaf war nicht mehr zu denken, denn das Achterdeck wurde von Lärm erfüllt wie auf einem Basar.
Ein Mann mit einem verbeulten Blechkanister auf dem Rücken drängte sich über das Achterdeck und rief unverständliche Worte. »Qahwa« stand auf dem Kanister zu lesen, was soviel bedeutet wie Kaffeehaus. Wer wie Carter der lautstarken Einladung des Verkäufers nachkam, dem ließ dieser ein schäumendes, schwarzgefärbtes, heißes Gebräu aus einem seitlich angebrachten Hahn in eine Art Zahnputzglas laufen. Geduldig lächelnd wartete er, bis Howard ausgetrunken hatte, denn er verfügte nur über das eine Glas.
Im Laufe des Vormittags hielt Carter Ausschau nach Brugsch, dem einzigen, der ihm Zutritt zum Oberdeck verschaffen konnte. Als er um die Mittagszeit noch immer nicht aufgetaucht war, wandte er sich an den Türsteher vor der Treppe, der mit Argusaugen über die Klassentrennung wachte, und bat, er möge Mr. Brugsch an Deck holen.
Der Wächter schob ein Gitter vor den Eingang und verschwand. Es dauerte lange, bis er mit der Antwort zurückkam, Mr. Brugsch bedaure.
Er hatte ihn wohl mit seinem plötzlichen Abschied beleidigt, ging es Carter durch den Kopf; aber wie sollte er sich entschuldigen, wenn er Brugsch nicht zu Gesicht bekam? Mehr als Brugsch interessierte ihn freilich die rätselhafte Dame vom Oberdeck. Aber auch sie ließ sich den ganzen Tag nicht blicken. Hatte der Alkohol, so fragte er sich, seine Sinne so sehr verwirrt, daß er ein Phantom verfolgte? Hatte er in seiner Einbildung eine Wahrnehmung gehabt, die er herbeisehnte, die aber fernab jeder Realität war? Gewiß, es gab merkwürdige Zufälle im Leben. Doch ihr Aussehen, die Art ihrer Bewegungen, ihre Herkunft und die verstohlenen Blicke, die sie ihm zugeworfen hatte, ließen kaum Zweifel zu.
Beim Abschied in Swaffham hatte Sarah ihm versichert, daß sie ihn liebe. Warum hatte sie dann Chambers geheiratet? Frauen sind eben manchmal unergründlich. Ebenso schwer zu verstehen war ihr derzeitiges Verhalten. Es gab keinen Grund für dieses Versteckspiel. Oder war es doch nicht Sarah?
Howard ärgerte sich über sich selbst. Warum hatte er nicht den Mut aufgebracht, sie anzusprechen – wenn er sich seiner Sache sicher war?
Eingepfercht auf dem Achterdeck zwischen Kisten, Säcken und Tierkäfigen, zog sich der Tag unerträglich in die Länge. Howard verbrachte ihn in einem rauschhaften Zustand, süchtig nach der Frau, die er verzweifelt liebte, und verunsichert durch die Umstände, die ihn daran hinderten, mit Sarah Kontakt aufzunehmen.
Stundenlang, wie ein Krokodil, das auf Beute lauert, hielt Howard den Blick auf die Reling des Oberdecks gerichtet – mehr war von unten nicht zu sehen. Er stellte sich vor, wie er mit Sarah leben würde, und die Bilder in seinem Kopf überschlugen sich. Er ertappte sich dabei, wie er in Gedanken ihre Brüste streichelte, wie er sie von hinten umfangen hielt, wie er sein Knie zwischen ihre Schenkel schob und sie mit Wollust erfüllte. Mag sein, daß er vor zwei Jahren noch ein Jüngling war, jetzt war er ein Mann und in der Lage, Sarah mit seiner Leidenschaft ganz für sich einzunehmen. Kämpfen würde er um sie und nicht nachgeben, bis sie ihm gehören würde.
Eine weitere Nacht senkte sich über das Niltal. Auf dem Achterdeck herrschte keine Ausgelassenheit wie am Vortag. Die Ägypter betrauerten den Tod ihres Vizekönigs. Kniend neigten sie ihre Köpfe gen Osten, einige schlugen sie sogar auf den Boden. Abseits auf seinem Koffer hockend beobachtete Carter, wie die Männer, die noch gestern die halbe Nacht gelärmt, musiziert und getanzt hatten, sich ihrer stillen Trauer hingaben. Nur vom Oberdeck konnte man gedämpfte Unterhaltung vernehmen und hier und da vom Ufer das bekannte »Lilililili«.
Die Nacht verbrachte Howard halb schlafend, halb wachend, und dabei faßte er einen Plan. Gegen sechs Uhr morgens sollte das Dampfschiff in Luxor anlegen. Carter wollte als einer der ersten von Bord gehen. Weder Sarah noch Mr. Brugsch konnten ihm auf diese Weise entkommen. Schon beim ersten
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