Der König von Luxor
graben?«
»Es wäre nicht das erste Mal, Mr. Carter. Jedenfalls war es keine sehr gute Idee, Ihre Pläne ausgerechnet Brugsch anzuvertrauen.«
In den letzten Tagen, dachte Carter, ging aber auch alles schief. Seine Hoffnung, bei Naville eine Anstellung zu finden, war nun gleich null. Und so überraschte es ihn in keiner Weise, als Edouard Naville emotionslos verkündete: »Es tut mir leid für Sie, Mr. Carter, aber zur Zeit habe ich keine Stelle frei, die ich Ihnen anbieten könnte. Vielleicht später einmal, Sie verstehen. Haben Sie schon eine Unterkunft?«
»In einer Pension nahe dem Bahnhof«, antwortete Howard, »sie heißt Maamura Palace.«
Naville ging zu seinem schattigen Schreibtisch und machte sich eine Notiz.
»Sir«, fragte Carter aus dem Hintergrund, »darf ich mir die Ausgrabungen einmal näher ansehen?«
»Ja, natürlich.« Mit einem Mal erhellte sich das strenge Gesicht des Ausgräbers. Er griff nach einem Strohhut mit breiter Krempe und setzte ihn auf den Kopf. »Kommen Sie, Mr. Carter!«
Naville glich, während sie eine schräge Rampe hinaufschritten, die zur ersten Terrasse des in die Felswand gebauten Tempels führte, einem Triumphator. Er hielt den Kopf im Nacken und die Lider beinahe geschlossen. Dabei ging sein Blick von einer Seite zur anderen und machte hier und da bei einer Gruppe von Arbeitern halt, wobei sich seine Miene jedesmal verfinsterte. Auf seiner Stirn erschienen dann stets zwei senkrechte Falten, die sich jedoch einen Augenblick später verflüchtigten.
Auf der Galerie angelangt, breitete der Ausgräber beide Arme aus wie ein Prediger, und mit einem ganz und gar unerwarteten Lächeln und mit bebender Stimme sagte Naville: »Willkommen im Tempel der Königin Hatschepsut, der Schönsten unter allen!« Für einen Moment hielt er dabei die Augen geschlossen, so als genieße er den Nachklang seiner eigenen Worte.
Während zweier Jahre in Amarna hatte Howard mit Petrie keinen so feierlichen Augenblick erlebt, und die Situation erschien ihm keineswegs übertrieben oder unangebracht. Dieser Naville war schon ein seltsamer Mensch, aufregend und faszinierend. Und so reagierte Carter auf ebenso ungewöhnliche Weise, indem er Haltung annahm, beide Arme herunterhängen ließ und den Kopf bis in Kniehöhe neigte, so wie man es auf alten Reliefs sehen konnte, und erwiderte: »Das Herz des Dieners Ihrer Majestät, der Herrin beider Länder, ist erfreut!«
Naville blickte irritiert, weil der Bursche seinen Spielball aufnahm. Er hätte diese Reaktion von Carter nicht erwartet, und um seine Verblüffung zu überspielen, begann er: »Es gibt drei Gründe, warum dieser grandiose Tempel mehr als dreitausend Jahre überdauert hat: In frühchristlicher Zeit wurde auf dem obersten Stockwerk des Tempels eine Kirche eingerichtet. Die Wände mit den alten Götterbildern wurden verputzt und mit christlichen Fresken übermalt. Später kamen die Araber und bauten das Ganze zu einer Befestigungsanlage um. Noch vor wenigen Jahren ragte dort drüben ein wuchtiger Wachturm empor, gebaut aus den Steinen des Tempels. Und der dritte Grund ist die natürliche Umgebung der Anlage. Seit Jahrtausenden purzelten Gesteinsbrocken und Geröll von den Felsklippen herab, und da es niemanden gab, der sie beseitigte, verschwand der Tempel allmählich unter einer riesigen Geröllhalde.«
Howard nickte andächtig.
»Mariette«, fuhr Naville fort, »vermutete noch ein kleines Tempelchen unter den Schuttmassen. Doch dann begann er systematisch zu graben, und es kam immer mehr zum Vorschein. Vor allem die Wandreliefs gaben Aufschluß über die ungeheuere Bedeutung, die dieser Frau auf dem Pharaonenthron zukam. Sie war die Tochter Thutmosis’ I. und mit ihrem Stiefbruder Thutmosis II. verheiratet. In dieser Ehe gab es Konflikte, aus denen Hatschepsut als Sieger hervorging. Hatschepsut wurde Pharao, der erste weibliche Pharao in der Geschichte des Reiches. Folgen Sie mir, Mr. Carter!«
Sie gingen zu den Resten einer Säulenhalle, und Naville wurde immer aufgeregter. Seine Augen, die sonst kaum eine Regung verrieten, begannen zu funkeln. »Sehen Sie nur, Mr. Carter, das ist Makare-Hatschepsut, die Herrin beider Länder!« Er zeigte mit dem Finger auf ein Relief, kaum drei Fuß hoch. Die Königin trat wie ein Mann auf, im Lendenschurz und mit nacktem Oberkörper. Am Kinn hatte sie eine Bartperücke befestigt.
»Welch geheimnisvolle Frau«, bemerkte Howard und schüttelte den Kopf.
»Wie alle Frauen«, meinte Naville. »Und
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