Der König von Luxor
der Polizeivorsteher von Luxor, machte ein ernstes Gesicht, als er nach einer halben Stunde am Tatort eintraf. Kaum hatte er die Hotelterrasse betreten und sich nach dem Tatbestand erkundigt, da begann der Aufruhr, der sich schon weitgehend beruhigt hatte, von neuem. Hotelgäste, Ober und Lakaien zeigten mit Fingern auf Howard Carter und riefen: »Das ist er!« Und ehe er sich versah, wurde Howard in Handschellen aus dem Hotel zu einem geschlossenen Polizeiwagen mit einem Maultier davor gebracht, der vor dem Eingang an der Uferstraße wartete.
Howard glaubte zu träumen, als er in der Polizeistation, deren kahle Räume viel höher als gewöhnlich und türkis gestrichen waren, wie ein Verbrecher verhört wurde. Der Polizeivorsteher trug schwer an seiner Würde, und er verlieh dieser Tatsache Ausdruck, indem er den Kopf über seinen Schreibtisch geneigt hielt und sein Gegenüber kein einziges Mal ansah.
Nach Aufnahme der Personalien, die nicht ohne Komplikationen ablief, weil sich die englische Rechtschreibung von der arabischen deutlich unterscheidet, nahm Hamdi-Bey Howard die Handschellen ab und stellte ihm die Frage: »Geben Sie das Ihnen zur Last gelegte Verbrechen zu, Mister Carter?«
»Welches Verbrechen?« rief Howard entsetzt.
»Den Diebstahl!«
»Welchen Diebstahl?«
»Hotelgäste im ›Winter Palace‹ behaupten, bestohlen worden zu sein.«
»Wer behauptet das, Hamdi-Bey?«
»Herr Brugsch, Mister Carter.«
»So, behauptet er das. Und was soll ich gestohlen haben, wenn Sie die Frage gestatten?«
Der Polizeivorsteher hob die Schultern. »Herr Brugsch wird es uns morgen sagen. Solange muß ich Sie hier festhalten, Mister.« Dabei deutete er auf eine Art Gefängniszelle, die man durch die offene Tür jenseits des Ganges sehen konnte. Hinter einem Gitter glotzten fünfzehn bis zwanzig Gefangene hervor, Männer, Frauen, sogar einige Kinder, nicht älter als zwölf Jahre. Sie lauschten neugierig dem Verhör. Dies war fraglos die einzige Abwechslung in ihrem tristen Alltag.
Bemüht, die Ruhe zu bewahren, sagte Howard: »Hamdi-Bey, ich bin Engländer, und Sie haben kein Recht, mich hier festzuhalten!«
»Auch Engländer haben sich an die Gesetze unseres Landes zu halten«, erwiderte der Polizeivorsteher kühl und eher nebenbei, weil er mit der Niederschrift des Protokolls beschäftigt war. »Und sollte sich Ihre Unschuld herausstellen, werden Sie umgehend freigelassen. Vorläufig muß ich Mister Brugsch glauben. Er ist ein ehrenwerter Mann und ein Kurator aus Kairo.«
Er schnippte mit dem Finger, und aus dem Hintergrund traten zwei uniformierte Polizisten hervor. Mit einer kurzen Kopfbewegung gab Hamdi-Bey den Männern ein Zeichen. Die packten Howard an den Armen und schoben ihn vor sich her zu der vergitterten Gefängniszelle.
Die Gefangenen applaudierten, als Carter in seinem vornehmen weißen Tropenanzug eintrat. Zwei zahnlose Bettelweiber mit dunkler Haut und grauweißen Haaren prüften an Ärmeln und Hosenbeinen die Qualität seines Anzugs, indem sie den Stoff zwischen Daumen und Zeigefinger rieben, und ernteten damit Gelächter von allen Seiten. »Oh, welch vornehmer Effendi«, kreischte die eine, »was mag er nur verbrochen haben, daß man ihn mit uns zusammen ins Loch steckt?«
Howard versetzte den beiden Alten einen heftigen Stoß und hielt nach einem Platz Ausschau. Mit Bestürzung mußte er feststellen, daß es im ganzen Raum keine Sitzgelegenheit gab, keine Bank, keinen Stuhl, nichts. Das einzige Zugeständnis an den täglichen Komfort war ein Loch im Boden in der rechten hinteren Ecke zur Verrichtung der Notdurft.
Fassungslos ließ sich Howard an der dem Gitter gegenüberliegenden Wand auf dem Steinfußboden nieder. Er fühlte alle Augen auf sich gerichtet. Doch als er aufblickte, senkten sich die Blicke der Gefangenen. Die meisten klammerten sich an die Gitterstäbe und starrten nach draußen in den langen Gang, wo der Alltag einer oberägyptischen Polizeistation ablief.
Nach einer Weile wandte sich Carter an einen Mithäftling, einen Ägypter von etwa dreißig Jahren, der eine graue Galabija trug und keinen so verwahrlosten Eindruck machte wie die übrigen und fragte, warum er hier sei. Aber dem war nicht zum Reden zumute, jedenfalls schüttelte er unwillig den Kopf, und dazu machte er eine abwehrende Handbewegung, als wollte er sagen: Laß mich in Ruhe.
Die einzige, die sich für Howard zu interessieren schien, war ein hübsches, aber schmuddeliges Mädchen mit halblangen, krausen
Weitere Kostenlose Bücher