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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Haaren, das nicht weit entfernt auf dem Boden hockte und sich mit seinem weiten, langen Rock Kühle zufächelte, indem es ihn bis zum Kopf hochzog und dann auf den Boden flattern ließ. Dazu schnalzte es gekonnt mit der Zunge. Die widrigen Umstände der Gefängniszelle waren jedoch wenig geeignet, bei den Insassen irgendwelche Bedürfnisse zu wecken. Und als das Mädchen gar den Rock hob, um Carter zu zeigen, daß es wirklich nichts darunter trug, wandte er sich angewidert ab.
    Ein Junge von kleinem Wuchs, aber vermutlich älter, als er aussah, machte sich an den vornehmen Mithäftling heran und sagte in mühevollem, beinahe unverständlichem Englisch: »Wie sind Sie hier hereingeraten, Mister?«
    Howard hatte keine Lust mehr auf ein Gespräch, aber dann blickte er in ein so offenes, ehrliches Gesicht, daß er antwortete: »Du kannst ruhig in deiner Sprache mit mir reden. Wie heißt du?«
    »Sayyed«, entgegnete der Junge, »ich bin schon vierzehn!«
    »Vierzehn?« wiederholte Carter überrascht. »Du solltest deine Zeit besser in der Schule verbringen als im Gefängnis. Was hast du angestellt?«
    Sayyed rollte mit seinen dunklen Augen und grinste verschmitzt. Er hatte wohl Hemmungen einzugestehen, daß er geklaut hatte. Deshalb machte er eine umständliche Bewegung, indem er die rechte Hand zu einer Schaufel formte und im Handgelenk drehte. »Die Handtasche einer vornehmen Lady aus Europa. Es war nicht das erste Mal. Man hat mich nur zum ersten Mal erwischt.«
    »Wo und bei welcher Gelegenheit?«
    »Unten an der Schiffslände. Hassan, der mein Lehrmeister ist und der beste Taschendieb zwischen Assuan und Alexandria, Hassan sagt, die beste Gelegenheit zum Klauen ist, wenn die Leute ein Schiff verlassen. Keiner achtet auf seine Sachen. Alle gucken nur geradeaus auf das, was sie erwartet – sagt Hassan.«
    »So – sagt Hassan.«
    »Sagt Hassan, und Hassan ist klug. Er kann die erste Sure des Koran auswendig hersagen, auswendig! Können Sie das auch, Mister?«
    »Nein.«
    »Sehen Sie.«
    »Und wer hat dich erwischt?«
    Sayyed schob seine Unterlippe vor und zeigte mit dem Kinn zum Büro des Polizeivorstehers. »Hamdi-Bey persönlich.« Er beugte sich zu Howard herüber, und hinter vorgehaltener Hand fuhr er fort: »Er ist auch der einzige, der mir das Wasser reichen kann. Die anderen hier sind alle Dummköpfe und Schlappschwänze und das Geld nicht wert, das sie verdienen.«
    Howard mußte lachen; der kleine Gauner gefiel ihm.
    Eine Weile starrten beide schweigend auf den Boden, als Sayyed plötzlich halblaut vor sich hinsagte: »Eigentlich mag ich die Engländer nicht…«
    Carter sah den Jungen an: »Und warum nicht, wenn ich fragen darf?«
    »Hassan sagt, die Engländer hätten Ägypten gekauft. Einfach so, wie man ein Kamel kauft oder einen Sack Zucker. Aber, sagt Hassan, dazu haben die Engländer kein Recht. Wir Ägypter wollen leben, wie es uns paßt. Wir sind auch Menschen, sagt Hassan.«
    »Ich verstehe, dieser Hassan ist ein Nationalist, und du willst auch einer werden, stimmt’s?«
    Sayyed nickte heftig.
    »Im Vertrauen gesagt«, bemerkte Howard leise, »ich bin ganz auf deiner Seite. Was die Engländer vor über zehn Jahren in Alexandria angerichtet haben, ist eine Schande für das britische Empire.«
    »Hassan hat mit eigenen Augen gesehen, wie eure Flotte Alexandria vom Hafen aus beschossen und den Basar, den Mohammed-Ali-Platz und die Straße der Konsulate in Schutt und Asche gelegt hat. Dabei wollte sich unser Anführer Arabi Pascha nur gegen die Einmischung der Engländer in unsere Angelegenheiten wehren. Aber, sagt Hassan, selbst dem Küken im Ei gibt Allah die Kraft, die Schale zu sprengen.«
    »Soviel ich weiß, hat Arabi Pascha überlebt?«
    »Er wurde nach Ceylon in die Verbannung geschickt und darf nicht mehr nach Hause. Jetzt ist Hassan unser…« Sayyed stockte.
    »Euer was?« erkundigte sich Howard.
    »Ach nichts. Ich habe schon viel zu viel ausgeplaudert, Mister.«
    »Carter«, ergänzte Howard. »Du kannst mir wirklich vertrauen. Mit Politik habe ich nichts am Hut. Ich bin Ausgräber, und mein Interesse gilt Menschen, die vor dreitausend Jahren gelebt haben. So gesehen bin ich ein schlechter Untertan Ihrer Majestät, der Queen Victoria.«
    Sayyed rümpfte die Nase. »Hassan sagt, wer einmal von einer Schlange gebissen wurde, der fürchtet sich selbst vor einem geringelten Seil.«
    »Ein kluger Mann, dieser Hassan. Wo lebt er?«
    Der Junge schwieg. Schließlich meinte er: »Hassan holt mich

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