Der König von Luxor
Mr. Carter?«
»O nein, ganz im Gegenteil«, hörte sich Howard sagen, und er wunderte sich selbst über seinen Mut. Immerhin war Leila die Geliebte des Agas, und die Hälfte aller Männer in Luxor verehrte sie beinahe wie eine Heilige.
»Al-Bahr an-Nil 160«, beschied Leila den Droschkenkutscher, der daraufhin seinem Schimmel die Zügel gab und auf der Nilpromenade in Richtung Norden fuhr.
»Eine vornehme Adresse«, bemerkte Carter mit einer gewissen Bewunderung. Und als sie vor dem Haus, einer in einem üppigen Garten gelegenen, zweistöckigen Villa mit einem Säulenportal in der Mitte und hohen, mit Jalousien bewehrten Fenstern zu beiden Seiten, ankamen, fragte er ehrlich und ohne Ironie: »Ist das etwa ein Geschenk des Agas?«
Leila verdrehte kokett die Augen. »Mr. Carter, Sie stellen vielleicht Fragen!«
»Verzeihen Sie, Leila, ich wollte nicht indiskret sein. Ich dachte nur, wo Sie doch die Großzügigkeit des Agas lobten…«
»Nein«, erwiderte die Tänzerin, »das hätte selbst die Verhältnisse von Mustafa Aga Ayat über Gebühr beansprucht. Aber das Haus ist in der Tat ein Geschenk, ein Geschenk des Khediven Taufik Pascha.«
»Des Vizekönigs von Ägypten?«
»So ist es. Taufik Pascha war sehr großzügig. Wem es gelang, seine Gunst zu erringen, den überhäufte er mit Geschenken, und dabei versuchte er stets, seinen Vater Ismail Pascha zu übertrumpfen, von dem man sich unglaubliche Dinge erzählte. Bekam er Besuch aus Europa, so ließ er seine Gäste auf luxuriösen Schiffen nach Hause bringen. Das Schiff durften die Besucher selbstverständlich behalten. Als Taufik Pascha, sein ältester Sohn, vor zehn Jahren in Kairo ein großes Fest gab, da lud er tausend Gäste in einen Palast auf der Nilinsel Gesira. Ich war geladen, einen Schleiertanz aufzuführen – übrigens war ich nicht die einzige. Aber mein Tanz gefiel dem Khediven so gut, daß er mich mit diesem Haus, in dem er früher manchmal den Sommer verbrachte, belohnte.«
Stumm und als wäre er taub, saß der Kutscher auf seinem Bock. Nur der Schimmel scharrte unruhig mit den Hufen, als wollte er die Fahrgäste ermahnen, ihr Gespräch woanders fortzusetzen. Im Hauseingang, der von zwei riesigen Kandelabern elektrisch beleuchtet wurde, warteten zwei weißgekleidete Diener. Die Fenster der Villa strahlten hell.
Leila fing Howards bewundernden Blick auf und sagte: »Wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen gerne das Haus.« Dabei ergriff sie seine Hand und drückte sie gegen ihre Wange.
Howard wurde von wohliger Unruhe erfaßt. Leilas Einladung schmeichelte ihm. Dennoch zögerte er keinen Augenblick, sie abzulehnen, und erwiderte: »Das ist sehr zuvorkommend, Madam, aber ich glaube, es ist schon spät heute. Wenn Sie erlauben, würde ich gerne Ihrer Einladung ein andermal Folge leisten.«
Da zog die schöne Tänzerin ihre Hand zurück, als hätte sie sich verbrannt, und mit niedergeschlagenen Augen meinte sie: »Sie haben recht, Mr. Carter, Sie hatten sicher einen anstrengenden Tag. Wo wohnen Sie eigentlich?«
Im Anblick der feudalen Villa wurde Carter verlegen. Er hatte Hemmungen, seine Adresse preiszugeben. Schließlich lag die Pension mit dem wohlklingenden Namen nicht gerade in der vornehmsten Gegend; um der Wahrheit die Ehre zu geben, in den Seitenstraßen nahe dem Bahnhof hausten nur jene, die auf der Schattenseite des Lebens standen. Und so antwortete Howard: »Das möchte ich lieber verschweigen, bevor Sie einen falschen Eindruck von mir gewinnen.«
Mit einem flüchtigen Kuß auf die Wange verabschiedete sich Leila.
Wie auf ein geheimes Kommando sprangen die Diener hinzu und geleiteten sie ins Haus.
Für einen Augenblick tat es Carter leid, Leilas Einladung ausgeschlagen zu haben, doch dann gab er dem stummen Kutscher den Befehl: »Sharia al-Mahatta!«
Am Morgen des folgenden Tages kehrte Victor Loret aus Kairo zurück, und sein erster Weg führte ihn ins Tal der Könige. Schon von weitem wurde er von Unruhe erfaßt, weil die Wächter vor dem Amenophis-Grab verschwunden waren.
Loret fand sie gefesselt und geknebelt im Innern des Grabes, und die Männer berichteten, sie seien am Vorabend überfallen und betäubt worden, im übrigen könnten sie sich an nichts erinnern.
Bei näherer Betrachtung des Grabes wurden Lorets schlimmste Befürchtungen bestätigt: Unbekannte Räuber hatten die Mumie Amenophis’ II. aus dem Sarkophag geholt und abtransportiert. Dabei hatten sie Leitern über den Schacht gelegt und so ihre Beute über
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