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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Reihe, rechts außen, erkannte sie den Jungen, dem sie bei ihrer Ankunft am Bahnhof begegnet war.
    »Name?« fragte sie scheinbar unbeeindruckt, so wie sie es bei den Mädchen getan hatte.
    Der Junge erhob sich und nahm Haltung an: »Howard Carter.«
    Sarah Jones fühlte die Augen aller Mädchen auf sich gerichtet. Die Mädchen erwarteten irgendeine Reaktion. Ein halbwüchsiger Junge in einer Dame-School. In dieser unerwarteten Situation ließ sich Sarah zu einer Bemerkung hinreißen, welche ihr, kaum hatte sie diese ausgesprochen, zutiefst leid tat. »Oh, ein Hahn im Korb…«
    Die Mädchen kicherten, ein paar hielten die Hand vor den Mund, zwei ließen gar ihre Köpfe unter der Schulbank verschwinden, damit man ihre hämischen Gesichter nicht sehen konnte. Sie selbst starrte den Jungen hilflos an, der vor Scham dunkelrot anlief und tapfer den Blick auf sie gerichtet hielt, als wollte er sagen: Nur zu, demütige mich nur, ich bin das gewöhnt.
    Was sollte sie tun nach dieser Entgleisung? Sarah fiel es nicht leicht, ihre eigene Scham zu verbergen; denn ihr wurde schnell klar, daß kein Junge in diesem Alter freiwillig eine Dame-School besuchte. Unschwer konnte sich Sarah vorstellen, wie sehr er sie in diesem Augenblick haßte.
    »War nicht so gemeint, Carter!« sagte sie zur Entschuldigung.
    Howard zeigte keine Regung.
    Nach dem Ende des Unterrichts stellte Miss Jones die Baronin zur Rede, warum sie sie nicht auf den Jüngling in der Mädchenklasse vorbereitet hatte. Die unerwartete Konfrontation habe sie in eine peinliche Situation gebracht.
    Gertrude von Schell holte tief Luft, und dabei schwoll ihr Hals an wie eine Schweinsblase. Schließlich entgegnete sie mit leiser, aber bebender Stimme: »Miss Jones, es steht Ihnen nicht zu, mich in irgendeiner Weise zu kritisieren. Und sollten Sie sich Ihrer Aufgabe nicht gewachsen fühlen, so bitte ich Sie, mir das umgehend mitzuteilen, damit ich mich nach einer anderen Lehrkraft umsehe. Haben Sie mich verstanden, Miss Jones?«
    »Ich war nur so überrascht«, stammelte Sarah hilflos, »ich hatte nicht erwartet, einen Jungen in der Mädchenklasse anzutreffen, und in meiner Verblüffung ließ ich mich zu einer Bemerkung hinreißen, die mir im nachhinein leid tat. Das müssen Sie doch verstehen!«
    »Gar nichts muß ich verstehen«, erwiderte die Baronin schroff. »Ich sehe nur, daß Sie Ihre erste Bewährungsprobe nicht bestanden haben, Miss Jones. Noch so etwas, und Sie können sich Ihre Papiere abholen. Haben Sie mich verstanden?«
    In diesem Augenblick spielte Sarah mit dem Gedanken, der herrischen Alten das Klassenbuch vor die Füße zu werfen und zu antworten: Nicht nötig, ich gehe von selbst. Aber dann kam ihr ihre Lage in den Sinn. Sie war mittellos, die Baronin zahlte nicht schlecht, und sie brauchte jeden Penny. Also schluckte Sarah ihre Wut hinunter, obwohl sie sich gedemütigt fühlte wie selten zuvor.
    Nach wenigen Tagen Umgang mit der Klasse wurde Sarah Jones klar, welch schweren Stand der junge Carter in einer Mädchenklasse hatte. Nicht, daß er gehänselt oder verspottet wurde, dazu war Howard eine viel zu überlegene Erscheinung, nein, die Mädchen ließen ihn einfach links liegen, kümmerten sich nicht um ihn, auch wenn er bisweilen rührende Versuche unternahm, mit ihnen in Kontakt zu treten.
    Andererseits merkte sie deutlich, daß Howard ihr aus dem Weg ging. Es schien, als spürte er, daß sie das dringende Bedürfnis hatte, mit ihm ein paar Worte zu wechseln, die über den Umgang einer Lehrerin mit ihrem Schüler hinausgingen.
    Die Gelegenheit kam unerwartet. Sarah Jones nutzte die ersten warmen Apriltage, um die Gegend zu erkunden, in die sie das Schicksal verschlagen hatte.
    Drei Meilen nördlich von Swaffham liegt, nahe dem Fahrweg nach Fakenham, eine uralte Klosterruine, Castle Acre. Das verlassene Kloster stammt aus normannischer Zeit, und die Leute in der Gegend erzählten, es sei auf den Mauern einer Römerburg erbaut worden.
    Auf Sarah machten die Ruinen über dem River Nar den Eindruck, als seien sie aus einem alten Gemälde von William Turner herausgeschnitten. Sie hielt staunend inne, schließlich machte sie sich auf den Weg, das Innere des verwunschenen Bauwerks zu erkunden. Nichts regte sich, nur schrilles Vogelgezwitscher schallte aus dem Mauerwerk. Vertieft in den Anblick einer schmalen, hohen Fensteröffnung, erschrak sie, weil hastige Schritte sich aus dem Hintergrund näherten. Sarah wollte gerade einen schützenden Mauervorsprung

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