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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Straße durch weite Landschaft nach Süden. Mit ihr im Coupé saß ein alter Mann mit rötlichem Backenbart. Er kam aus Sheringham an der Nordküste; aber recht viel mehr sagte er nicht. Und so blieb Sarah Zeit, über das Geschehen der letzten Tage nachzudenken.
    Es tat ihr leid, daß sie am Tag zuvor vor Chambers aus der Kirche geflohen war, und sie fragte sich, während ihr Blick aus dem Fenster über die endlos scheinenden Wiesen und Felder schweifte, was sie an ihm nicht mochte. So ganz genau konnte sie die Frage nicht beantworten. Sarah wußte nur, daß Charles nicht der Richtige war. Gewiß, er gab sich höflich und zuvorkommend, und sein Ständchen auf der Orgel von St. Peter und Paul hatte etwas Rührendes gehabt, aber war es nicht gerade Chambers’ Zaghaftigkeit, die Sarah zweifeln ließ, ob sie diesen Mann jemals lieben könnte?
    Wenn sie ehrlich war, wußte sie selbst nicht zu sagen, wie der Mann auszusehen hatte, in den sie sich hätte verlieben können. Sie hatte eine bittere Erfahrung hinter sich, die drei Jahre zurücklag und die den Ausschlag gegeben hatte, warum sie Ipswich nach dem Tod ihres Vaters verließ. Er hieß Sam, war blond und ein Hüne von einem Mann. Sam war Viktualienhändler, und er belieferte die Mannschaften der Frachtschiffe im Hafen von Ipswich mit Lebensmitteln. Sie hatte Sam durch ihren Vater kennengelernt, der die Verbindung nicht ungern gesehen hätte, denn Sam war tüchtig und hatte sich einen bescheidenen Wohlstand geschaffen. Er lebte auf einem alten Frachtkahn, der gleichzeitig sein Kaufladen war. Von dort aus verkaufte er seinen Kunden Kartoffeln und Gemüse, Pökelfleisch und Fischkonserven, Bier und Branntwein.
    Sam war es, der ihre Verbindung zerstörte, noch ehe diese ernsthaft begonnen hatte. Er trank gerne. Er trank viel, weil er wußte, daß er viel vertragen konnte. An einem kalten Winterabend, wenige Tage vor Weihnachten, besuchte Sarah Sam auf seinem Frachtkahn. Der eiserne Ofen in seiner Kajüte glühte. Sam war betrunken. So hatte sie ihn noch nie erlebt. Mit schwerer Zunge begann er herumzunörgeln, nannte sie eine prüde Nonne, weil sie noch nie mit ihm geschlafen habe, und deshalb müsse er sein sauer verdientes Geld zu den Hafenhuren tragen. Von jenem Tag an empfand Sarah Ekel vor Sam, und tags darauf schickte sie ihm einen Abschiedsbrief, der mit den Worten endete: Ich möchte dich nie wiedersehen…
    Dieser Ankündigung war Sarah treu geblieben. Aber dieses Erlebnis hatte ihr Innerstes so sehr verletzt, daß es sie seither Überwindung kostete, jegliche Art von Zuneigung, die ein Mann ihr entgegenbrachte, zu erwidern. Ja, in ihr stieg allmählich die Angst hoch, ihre Gefühle könnten sich bis zur totalen Ablehnung Männern gegenüber verirren.
    Vielleicht tat sie Chambers unrecht. Vielleicht wäre Chambers ein aufopfernder, hingebungsvoller Ehemann gewesen. Doch sie empfand nichts für ihn. Von Liebe konnte keine Rede sein, von Leidenschaft schon gar nicht. Das mußte sie ihm bei nächster Gelegenheit nahebringen.
    Als der Pferdewagen Mundford erreichte und auf die schnurgerade Straße durch den Thetford Forest einbog, war der Rotbart im Coupé eingeschlafen. Die Pferde trabten über den unbefestigten Weg, daß die hellgrünen Bäume zu beiden Seiten nur so vorbeiflogen. Bis Thetford waren es noch acht Meilen.
    Warum machte sie diese umständliche Reise? Warum, fragte sich Sarah Jones, nahm sie diese Anstrengungen auf sich? Warum sorgte sie sich um einen halbwüchsigen Jungen, der sie – ausschließen konnte sie es nicht – vielleicht sogar um ihr Vermögen gebracht hatte? Sarah fand keine Antwort.
    In Thetford bestieg Sarah die Eisenbahn und erreichte am Nachmittag Cambridge. Ein junger Mann in Eisenbahneruniform erklärte ihr den Weg zu den Backs. Dort am Ufer des Cam finde der große Jahrmarkt statt.
    Jeder Engländer kannte Cambridge vom Hörensagen, und auch Sarah Jones hatte viel von der alten Universitätsstadt mit ihren pittoresken Colleges und romantischen Brücken, den vornehmen Hotels und eleganten Geschäften gehört, aber sie hatte nicht erwartet, daß diese Stadt so aufregend schön war. Im Gegensatz zu Ipswich gab es hier keine Fabriken, keine rauchenden Schlote, die schmutzigrot in den Himmel ragten. Sogar die Fassaden der ältesten Häuser wirkten einladend und freundlich, und die Fachwerkhäuser waren herausgeputzt, als wäre jeden Tag Queen Victorias Geburtstag.
    Auf dem Weg vom Bahnhof im Osten der Stadt zu den Backs jenseits des

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