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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Stunde Unterricht schickte sie die Mädchen ihrer Klasse nach Hause. Ihr sei unwohl, ließ sie wissen.
    Doch Sarah Jones machte sich auf den Weg zur Sporle-Road, wo Howard mit seinen Tanten Fanny und Kate lebte. Sie fand Fanny und Kate vor dem Hauseingang in ein lebhaftes Gespräch vertieft, als wetteiferten sie mit dem Gezwitscher der Vögel in den Bäumen.
    »Ich bin Miss Jones von der Dame-School. Wo ist Howard?« rief Sarah schon von weiten.
    Fanny, die Altere, trat dem unerwarteten Besuch ein paar Schritte entgegen. Die Begegnung war ihr sichtlich peinlich, ja es schien, als habe sie geweint.
    »Ich habe meinem Bruder immer gesagt, er solle Howard nicht bevormunden. Howard ist ein empfindsamer Junge. Wir kennen ihn besser.« Fanny winkte ihre Schwester Kate herbei und sagte: »Das ist Howards Lehrerin. Das heißt, sie war es.«
    »Was soll das heißen, sie war es?« Sarah sah Fanny prüfend an.
    Diese machte eine herrische Handbewegung zu Kate hin, und daraufhin zog ihre Schwester ein gefaltetes Stück Papier aus der Tasche ihres weiten Rockes und reichte es Sarah.
    »Er ist fort«, erklärte Fanny, nachdem Kate weiterhin stumm blieb, »der Zettel lag heute morgen auf dem Küchentisch. Lesen Sie, Miss Jones!«
    Sarah entfaltete das Papier und las: »Macht Euch keine Sorgen, vor allem keine Vorwürfe. Wenn Ihr das lest, bin ich schon über alle Berge. Ich will ein neues Leben beginnen – es muß sein. Versucht mich zu verstehen, und sucht nicht nach mir, sonst wird alles nur noch schlimmer. Howard.«
    »Wann haben Sie den Zettel entdeckt?« rief Sarah aufgeregt.
    Fanny sah Kate an. »Heute morgen kurz vor sechs.«
    »Das heißt, Howard ist mitten in der Nacht verschwunden. Was hat er bei sich?«
    »Ein paar Kleidungsstücke und einen alten, zerlumpten Reisesack.«
    »Und haben Sie eine Ahnung, welches Ziel Howard haben könnte? Vielleicht will er nach London zu seinem Vater?«
    Da wachte Kate mit einem Mal auf und rief: »Nach London? Das bestimmt nicht, Miss, und zu seinem Vater schon gar nicht. Mit ihm hatte er gerade eine Auseinandersetzung.«
    »Worüber?«
    Fanny fiel ihrer Schwester ins Wort. Es schien, als wäre ihr gar nicht recht, daß Kate das gesagt hatte. »Mein Bruder Samuel«, begann sie leise, »hat Howard eröffnet, daß er nicht mehr bereit ist, für den Jungen Kost- und Schulgeld zu zahlen. Schließlich ist er fünfzehn. In dem Alter bringen andere schon zwei Shilling die Woche nach Hause. Aber als Samuel seinem Sohn verkündete, er müsse Botengänger in Harwich werden, da wurde Howard wütend.«
    »Botengänger in Harwich?« fragte Sarah erstaunt. »Howard hat künstlerisches Talent. Er könnte ein erfolgreicher Maler werden.«
    »So wie seine Brüder Samuel, Vernet und William!« spottete Kate. »Die sind froh, wenn ein Schafzüchter kommt, um sich porträtieren zu lassen, damit sie für den Winter Kohlen kaufen können. Hören Sie auf mit Künstlern! Kunst ist etwas für reiche Leute.«
    Sarah sah Kate fragend an: »Und Sie meinen, das ist der Grund, weshalb er weggelaufen ist?«
    Die hob die Schultern: »Welchen Grund sollte er sonst gehabt haben? Aber man kann natürlich in so einen Jungen nicht hineinschauen. Nein, nein, es war die Auseinandersetzung mit seinem Vater. Wenn ihm nur nichts zustößt!« Eilig schlug sie ein Kreuzzeichen.
    Was immer seine Entscheidung beeinflußt haben mochte, Sarah fühlte sich mitschuldig. Und während sie darüber nachdachte, wie und auf welchem Weg Howard Swaffham verlassen haben konnte, kamen ihr die Schausteller in den Sinn, die noch in der Nacht ihre Zelte abgebrochen und im Morgengrauen die Stadt verlassen hatten. Und sie erinnerte sich an das Schild am Eingang zur »Größten Schau der Welt«, auf dem Mitreisende gesucht wurden.
    In Swaffham hatte Howard Carter kaum Freunde, die ihm behilflich sein konnten. Für Sarah Jones gab es keinen Zweifel, daß der Junge sich einer dieser Schaustellertruppen angeschlossen hatte.
    Man weiß, Schausteller ziehen von einem Jahrmarkt zum anderen, und bei ihrem Besuch am Tag zuvor war Sarah zu Ohren gekommen, daß das nächste Ziel des fahrenden Volkes keine fünfzig Meilen entfernt lag, in Cambridge.
    »Ich hole den Jungen zurück!« rief Sarah Jones schon im Gehen den beiden alten Damen zu. »Ich glaube zu wissen, wo Howard sich aufhält!« Fanny und Kate sahen sich fragend an.
    Gegen Mittag ging eine Pferdepost nach Thetford. Sarah packte das Nötigste in eine Tasche aus Segeltuch.
    Zehn Meilen führte die

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