Der König von Luxor
Folglich kann Mr. Carter sein Grab auch nicht finden. Dann solltest du dich entschließen, die Arbeiten einzustellen.«
»O nein, Mylady!« ereiferte sich Howard. »Ich habe nicht den geringsten Zweifel, Tut-ench-Amun zu finden, glauben Sie mir. Neulich nachts begegnete ich der katzenköpfigen Göttin Bastet. Sie war schneeweiß und hatte rote Augen, und sie verkündete mir, ich würde in nicht allzuferner Zeit den Pharao finden.«
Lord Carnarvon und Lady Almina warfen sich einen vielsagenden Blick zu, da kam die Kutsche vor dem Eingang des Hotels zum Stehen.
»Wir sehen uns morgen im Tal der Könige«, bemerkte der Lord kurz angebunden, und nicht zum ersten Mal fühlte sich Carter von seinem Arbeitgeber tief gedemütigt.
Auf dem Weg zu ihrer Suite im Erdgeschoß des Hotels meinte Lord Carnarvon: »Es wird höchste Zeit, daß Carter seine Arbeit einstellt. Er hat sich schon viel zu lange allein im Tal der Könige herumgetrieben und scheint mir etwas überdreht. Habt Ihr gehört, was er von der Begegnung mit der katzenköpfigen Göttin erzählt hat? Ich glaube, Mr. Carter ist schon etwas…« Dabei fächelte er mit der flachen Hand vor seinem Gesicht.
»Papa, du bist ungerecht!« rief Evelyn erzürnt und stampfte mit dem Fuß auf den Boden. »Mr. Carter redet keineswegs irre; aber sollte er es eines Tages tun, dann müßtest du dich zuallererst fragen, wer schuld daran hat.«
»Evelyn!« rief Lady Almina ihre Tochter zur Ordnung. »So darfst du mit deinem Vater nicht sprechen. Nicht in diesem Ton!«
»Papa ist ungerecht zu Mr. Carter. Er macht ihm zum Vorwurf, daß er das ausführt, was er ihm aufgetragen hat, im Tal der Könige nach dem Pharao zu suchen. Ich glaube, auch Papa würde etwas merkwürdig, wenn er zwanzig Jahre an ein und demselben Ort nach einem Pharao graben würde, von dem nicht einmal sicher ist, ob er je gelebt hat.«
»Evelyn!« wiederholte ihre Mutter strafend. »So spricht man nicht über seinen Vater. Entschuldige dich, auf der Stelle!«
»Es ist die Wahrheit!« gab Evelyn wütend zurück. »Und für die Wahrheit brauche ich mich nicht zu entschuldigen.«
»Du entschuldigst dich bei deinem Vater oder gehst sofort auf dein Zimmer.«
Zwei beflissene Hoteldiener in weißer Galabija und mit einem roten Fes auf dem Kopf hatten die Hotelgäste inzwischen zu ihrer Suite geleitet, einer Flucht von vier Zimmern, die mit Durchgangstüren verbunden waren. Evelyn verschwand ohne ein Wort in ihrem Zimmer und knallte die Türe hinter sich zu.
Die Abendsonne warf warme, goldene Strahlen über das flache Dach seines Hauses auf dem sandigen Hügel. Oben angelangt, ließ Carter den Blick schweifen – hinüber zum Tal, das ihm fremd und unnahbar erschien wie am ersten Tag. Er wollte nicht mehr. Was hatte er schon erreicht? Genaugenommen nichts. Ein paar Zufallsfunde, Zufallsentdeckungen ohne Bedeutung. So unrecht hatte Lord Carnarvon gar nicht. Kosten, mehr hatten die letzten Jahre nicht gebracht.
Während er mit den Händen den Hausschlüssel aus dem Sand scharrte, er lag stets an derselben Stelle nahe dem Eingang vergraben, überkamen ihn süße Gedanken an Evelyn, das kleine Mädchen. Es war schon eine Zeit her, seit ihn ähnliche Gefühle übermannt hatten, damals bei der Begegnung mit Leila. Evelyns Anblick hatte ihn verzückt, angerührt und in einen Zustand angenehmer Erwartung und Hoffnung versetzt.
Lange genug hatte er sich und seine Gefühle hinter einer starren Maske zurückgestellt und war der ehrgeizige Ausgräber, der nur ein Ziel kannte: den Erfolg. In dem Bewußtsein, ein ungewöhnliches, für eine Frau unzumutbares Leben zu führen, war es ihm nicht einmal in den Sinn gekommen, unter der Entbehrung einer Liebschaft zu leiden. Und wenn er auch keine Abneigung gegen Frauen empfand – nein, das gewiß nicht –, so waren ihm Leidenschaft und Begierde fraglos abhanden gekommen.
Doch das schien mit einem Mal anders. Evelyns Anblick hatte Howard wie ein Blitzschlag getroffen, ihre Schönheit hatte seine Phantasie und sein Verlangen erweckt und überschäumende Gedanken in Gang gesetzt wie damals in Swaffham, als er an Sarah Jones Gefallen fand. Und wie damals empfand er in seinem Innersten Schüchternheit. Carter war doppelt so alt wie Evelyn, er hätte ihr Vater sein können; aber dennoch, dachte er, würde er nie den Mut aufbringen, sich dem Mädchen zu offenbaren. Howard war unsicher, verwirrt und ratlos.
Unschlüssig setzte er sich an den großen Tisch unter der Kuppel seines
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