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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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sie sich von dem überwältigenden Anblick losgesagt, zu einer unerwarteten Annäherung der beiden. Als hätte ihr das vorangegangene Erlebnis den Verstand geraubt, schlang Evelyn, während Carter sie behutsam zu Boden gleiten ließ, ihre Arme um seinen Nacken und küßte Howard heftig und ungestüm, als wäre es das erste Mal. Dabei preßte sie ihren Körper so leidenschaftlich gegen den seinen, daß Carter, den wohlige Schauer überkamen, ihr Drängen und Kosen willfährig erwiderte.
    Lord Carnarvon sah es wohl, aber er war zu überwältigt, um der Begebenheit größere Bedeutung beizumessen. Er schrieb den plötzlichen Gefühlsausbruch seiner Tochter allein der Aufregung zu, die sie alle erfaßt hatte; aber er sollte sich irren.
    Nachdem auch Callender und der Rais einen Blick in die Kammer geworfen hatten, stiegen alle fünf nach oben, dem Tageslicht entgegen, und einem jeden von ihnen schien es, als kämen sie aus einer anderen Welt, als hätten sie soeben dreitausend Jahre Vergangenheit hinter sich gelassen. Keiner war fähig, ein Wort zu sprechen, und so setzten sie sich zu den Arbeitern, die um den Erdtrichter einen Kreis gebildet hatten, in den Sand.
    Carter ließ den Kopf auf die verschränkten Unterarme sinken. Sein Anblick vermittelte eher den Eindruck tiefer Verzweiflung als Stolz über den herbeigesehnten Erfolg oder gar Entdeckerglück. Die Arbeiter vermochten die scheinbare Niedergeschlagenheit des Carter-Effendi nicht zu deuten, so daß der Rais sich genötigt sah, ihnen den Stand der Dinge zu erklären.
    Er hatte kaum geendet, da fielen die Arbeiter in einen Freudentaumel, sie faßten sich an den Händen und tanzten im Kreis um den Grabeingang, und dabei sangen sie übermütige Gesänge, und einer, der den Takt angab, rief nach jeder Strophe: »Allah ist groß, und Carter-Effendi ist der treue Diener Allahs!«
    Carnarvon hielt den Blick starr in Richtung der Felsklippen gerichtet. Stolz sprach aus seiner Haltung, das Machtbewußtsein eines Siegers über den Unterlegenen. Für ihn war das Spiel nun zu Ende, er hatte den Pharao besiegt.
    Evelyns Interesse galt im Augenblick weniger der Entdeckung als Carters Befinden. Seine heftige Berührung hatte genügt, ihre Gefühle für ihn neu zu entfachen. Sie war es auch, die zuerst bemerkte, daß Howard am ganzen Leib zitterte. Teilnahmsvoll neigte sie sich zu ihm hinüber und legte sacht ihre Hand auf seine Schulter.
    Da hob Howard den Kopf, und Evelyn sah, daß er weinte. Der stolze, eigensinnige Howard Carter weinte dicke Tränen. Und er schämte sich seiner Tränen nicht. »Ich weiß nicht, ob es richtig ist, was ich da tue«, flüsterte er mit deutlichen Anzeichen von Rührung. »Ich fühle mich wie ein Eindringling.«
    Evelyn sah Carter fragend an. »Aber du hast dir doch nichts sehnlicher gewünscht?«
    »Ich weiß«, erwiderte Howard, »aber nun, da sich der größte Wunsch meines Lebens erfüllt hat, kommen mir Bedenken. Schließlich handelt es sich um das Grab eines Pharaos, eines außergewöhnlichen Menschen. Hat ein Mensch das Recht, in das Grab eines anderen Menschen einzudringen und seine Totenruhe zu stören?«
    Evelyn blickte ratlos. »Howard, es ist nicht das erste Mal. Warum hast du plötzlich Gewissensbisse?«
    »Weil es das erste Grab ist, in dem aller Wahrscheinlichkeit nach noch die Mumie eines Königs begraben liegt. Alle bisherigen Gräber, in die ich eingestiegen bin, waren längst ausgeraubt und nichts weiter als historische Relikte.«
    »Das heißt, du willst dich zurückziehen, gerade jetzt, wo sich dein Lebenstraum erfüllt hat. Sei nicht töricht, Howard. Wenn du die Arbeit niederlegst, wird sie ein anderer verrichten und deinen Ruhm ernten. Papa, da bin ich sicher, wird dieses Unternehmen nie aufgeben, niemals, Howard! Du mußt jetzt weitergehen auf deinem Weg.«
    Howard nickte. Evelyn hatte recht. Fraglos würde sich Carnarvon einen neuen Grabungsleiter suchen, falls er seinen Auftrag zurückgäbe. Es blieb ihm also gar nichts anderes übrig, als sein Werk zu vollenden.
    »Wo ist dein Vater?« fragte er unruhig. Weder er noch Evelyn hatten bemerkt, wie Lord Carnarvon sich entfernt hatte.
    Der Rais Ahmed Gurgar deutete nilwärts: »Lord Carnarvon-Effendi!« In der Ferne sah man die Staubwolke eines Reiters. »Hat kein Wort gesagt«, bemerkte Ahmed, »sprang auf Pferd und weg!«
    »Mir scheint«, meinte Evelyn kopfschüttelnd, »der Pharao bringt euch alle um den Verstand. Papa hat wohl vergessen, daß er eine Tochter

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