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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Verbissen schleuderte er die schwere Eisenstange in das Gestein, bis sie plötzlich durchsackte und, nachdem ihre halbe Länge in der Mauer verschwunden war, steckenblieb.
    Nachdenklich hielt Howard inne. Dann wandte er sich zu Carnarvon um, der sich ein Taschentuch vor den Mund preßte. Carter nickte.
    Mit Staunen verfolgte Evelyn, wie der Rais eine Kerze entzündete, als wollte er die Feierlichkeit des Augenblicks betonen. Doch kaum hatte Howard die Eisenstange aus der Mauer gezogen, reichte ihm Ahmed die Kerze. Wie ein Zauberkünstler, theatralisch und so, als hätte er den Handgriff hundertmal geübt, führte Carter die Flamme vor die etwa armdicke Öffnung im Mauerwerk. Das Licht flackerte heftig und drohte jeden Augenblick zu verlöschen. Man konnte beinahe spüren, wie die jahrtausendealte Luft aus dem Inneren entwich.
    Wie ein Priester bei einer geheimnisvollen Zeremonie machte Howard mit der Kerze schwenkende Bewegungen. Bange, rätselhafte Minuten vergingen. Endlich sagte Carter: »Keine Gefahr!« Und als ihn Evelyns fragender Blick traf, fügte er erklärend hinzu: »Man muß davon ausgehen, daß sich in Jahrtausenden giftige Gase gebildet haben. Aber die hätten die Kerze zum Erlöschen gebracht. Ein alter Bergarbeiter-Trick!«
    Behutsam begann Carter, das Mauerloch mit Hilfe der Eisenstange zu erweitern. Als es etwa die Größe eines Kinderkopfes erreicht hatte, nahm Howard seinem Vorarbeiter die elektrische Lampe aus der Hand, schraubte den Reflektor ab und steckte die nackte Glühbirne durch die Öffnung.
    Von Unruhe gepackt, traten Lord Carnarvon und Evelyn neben Carter. Ein umgestülpter Korb diente Howard als Podest. Während er sich mit beiden Händen am Rande der Öffnung festklammerte, spähte er atemlos in das Innere.
    Es war ein langer, für den Lord, seine Tochter, Arthur Callender und den Rais endlos scheinender Blick.
    »Carter!« stammelte Carnarvon erwartungsvoll, beinahe flehend: »So reden Sie doch, Carter, ich bitte Sie!«
    »Was ist los, Howard?« fügte Evelyn hinzu.
    Behutsam ließ Carter die Glühbirne nach unten gleiten. Es dauerte eine Weile, bis seine Augen sich an die ungewöhnlichen Lichtverhältnisse gewöhnt hatten. Da – wie hinter einer Nebelwand bewegten sich seltsame Gestalten und wilde Tiere, und bisweilen blitzten ihre Augen auf, als wären sie geblendet von dem neumodischen elektrischen Licht, das sie aus ihrem tausendjährigen Schlaf aufschreckte. Die Schatten, welche die an dem Kabel baumelnde Glühbirne warf, versetzten das Innere der Kammer in schlingernde Bewegung wie ein Schiff in Seenot. Und das wiederum hatte zur Folge, daß die Schätze, die hier aufgebahrt waren – mit Gold besetzte Kästen, Kisten und Streitwagen – blitzten und blinkten wie in der Schatzkammer eines Kalifen.
    »Können Sie etwas sehen, Carter?« Lord Carnarvon riß den Ausgräber aus seiner phantastischen Welt.
    »Ja«, antwortete Howard, »wunderbare Dinge.« Es war ihm unmöglich, das eben Geschaute zu beschreiben. Sein Gedächtnis versagte den Dienst. Zu bedeutsam erschien ihm der Augenblick, den er gerade erlebte.
    Wie benommen stieg Carter von seinem Korb-Podest hinab, und ohne ein Wort zu sagen, machte er eine einladende Handbewegung zu Lord Carnarvon hin.
    Während der Lord durch das Mauerloch spähte, herrschte atemlose Stille. Nur das Flechtwerk des Podests gab kurze, knarrende Laute von sich, daß Evelyn sich mit beiden Händen an Howard klammerte. Der blickte stumm, beinahe teilnahmslos zu Boden.
    Minutenlang verharrte Carnarvon so wie vor ihm Carter in der Haltung eines Voyeurs, der den verbotenen Anblick süchtig in sich aufnimmt. Die Situation hatte etwas Magisches, Phantastisches und – obwohl alle Beteiligten viele Jahre auf diesen Augenblick gewartet hatten – etwas Unglaubliches. Kein menschliches Auge hatte seit über dreitausend Jahren in die versiegelte Grabkammer eines Pharaos gespäht, und das Bewußtsein der Einmaligkeit dieses Augenblicks ließ sie erstarren.
    Nur Evelyn, die noch immer keinen Blick in das Innere geworfen hatte, tänzelte unruhig von einem Bein auf das andere. Schließlich zog sie ihren Vater am Ärmel vom Korb herunter und stieg selbst auf das Podest, und, weil sie noch immer zu klein war, um durch die Maueröffnung zu spähen, trat Howard hinzu, umfaßte mit beiden Armen ihre Hüften und hob das kleine Persönchen in die Höhe.
    Evelyn genoß Carters Umarmung nicht minder als den Blick auf die Schätze des Pharaos. Und so kam es, kaum hatte

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