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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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die Laute drangen. Da wurde es plötzlich still. Benebelt lauschte Carnarvon in die Dunkelheit.
    Er wußte nicht, wie lange er so regungslos verharrt hatte, als er mit einer heftigen Bewegung die Türe aufriß und in das Zimmer starrte.
    »Papa!« rief Evelyn verwirrt. Sie saß halb entkleidet auf Carters Schoß und war hastig bemüht, ihre Blöße zu bedecken. Umständlich befreiten sich beide aus der kompromittierenden Situation, und Carter bemerkte verächtlich, während er seine Kleider in Ordnung brachte: »Der Anstand hätte es erfordert anzuklopfen. Ich glaube, das gilt auch in Adelskreisen.«
    Carnarvon, der wie angewurzelt dastand und kein Wort hervorbrachte, rang nach Luft. Schließlich legte er all seine Wut und Verbitterung in die Antwort: »Der Anstand, Mr. Carter, hätte es auch erfordert, die Finger von einer verlobten Frau zu lassen!« Er trat auf Carter zu und nahm eine drohende Haltung ein.
    Mit ausgebreiteten Armen warf sich Evelyn zwischen die beiden Männer. »Es ist nicht Howards Schuld allein«, rief sie ängstlich. »Ich will dir alles erklären!«
    »Erklären, was gibt es da zu erklären, mein Kind?« Von einem Augenblick auf den anderen war Lord Carnarvon wieder nüchtern. »Du hast dich benommen wie eine Hure aus Soho. Ich wüßte nicht, welche Erklärung es dafür geben soll.«
    »Mylord, mäßigen Sie sich!« fuhr Carter wütend dazwischen, »Sie sprechen von Ihrer Tochter!«
    »…die Sie entehrt haben, Mr. Carter. Jedenfalls erwarte ich, daß Sie die Konsequenzen aus dieser Affäre zu tragen bereit sind.«
    Plötzlich wurde es still, so still, daß man draußen den fernen Ruf eines Käuzchens hören konnte. Evelyn trat zur Seite und sah Carter mit großen Augen an. Sie hatte die Hoffnung, daß Howard antworten würde: Selbstverständlich, Mylord, ich werde Ihre Tochter heiraten. Aber Howard schwieg, er schwieg, als wäre nichts geschehen, und blickte verlegen zur Seite.
    »Howard!« sagte Evelyn aufmunternd. »Howard, warum sagst du nichts?«
    Carter sah sie an, aber es kam ihr vor, als blicke er durch sie hindurch. »Howard!«
    Carter schwieg beharrlich.
    Warum, dachte Evelyn bei sich, warum sagt er meinem Vater nicht, daß er mich liebt? Oder liebt er mich gar nicht? Sollte ich mich so in ihm getäuscht haben? Enttäuscht wandte sie sich ab, den vorwurfsvollen Blick ihres Vaters ignorierend, der nichts anderes bedeutete als: Nun siehst du, wie ernst Carter es meinte.
    Howard wußte selbst nicht, was mit ihm geschah. Natürlich liebte er Evelyn. Aber seit Seine Lordschaft ihn an seine niedere Herkunft und an sein fortgeschrittenes Alter erinnert hatte, war in ihm etwas zerbrochen. Er wußte, er würde in diesen Kreisen nie akzeptiert werden, und er hegte die Befürchtung, daß daran auch ihre Liebe zerbrechen würde. Vielleicht wäre es für ihn ein kurzer, augenblicklicher Triumph, aber das Glück wäre sicher nur von kurzer Dauer.
    Mit einer Kopfbewegung zur Türe sagte Lord Carnarvon an seine Tochter gewandt: »Unten wartet ein Pferdegespann. Geh! Ich komme nach.«
    Evelyn gehorchte. Der Blick, den sie Carter zuwarf, tat ihm weh.
    »Mr. Carter«, begann Carnarvon, nachdem sie alleine waren, »was sich hier in diesem Raum abgespielt hat, ist nur eine Angelegenheit zwischen uns dreien. Ich hielte es für fatal, wenn Lord Beauchamp, der Verlobte meiner Tochter, je davon erfahren würde. Ich fordere Ihr Ehrenwort, daß Sie über diesen Fehltritt schweigen werden. Evelyn ist jung und neugierig, aber von Ihnen hätte ich mehr Besonnenheit erwartet.« Mit mürrischem Gesicht streckte er Carter die Hand entgegen.
    Howard betrachtete die Hand des Lords wie die eines Aussätzigen. Er zögerte. Dann ergriff er sie, ohne seinen Abscheu zu verbergen, und sagte: »Einverstanden, Mylord. Aber ich tue es nur für Evelyn.«
    Es gab Zeiten, da hatte Howard Lord Carnarvon bewundert und verehrt; nun aber verachtete und haßte er ihn.

K APITEL 28
     
     
     
    Am nächsten Morgen fanden sich Carter, Carnarvon und Evelyn im Tal der Könige ein, als wäre nichts geschehen. Mit Absicht hatte Howard nur eine kleine Mannschaft zusammengerufen, Callender, seinen Assistenten, den Rais Ahmed Gurgar und vier seiner treuesten Mitarbeiter, die Howard schon seit vielen Jahren kannte.
    Während die Spätherbstsonne die ersten langen Schatten warf, stiegen Carter und der Rais zusammen mit den vier Arbeitern in den Stollen ein. Callender, Lord Carnarvon und seine Tochter Evelyn warteten mit Ungeduld vor den sechzehn

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