Der König von Luxor
dreizehn Jahre jünger.«
»Mein Gott, wie aufregend, warum hast du mir nie davon erzählt? Und warum gerade jetzt?«
Sarah Jones reichte Mary die Zeitung. Begierig las die Freundin den Artikel. In das Zeitungsbild vertieft, sagte Mary ungläubig: »Dieser Ausgräber war deine große Liebe?«
Nicht ohne Stolz und mit zusammengepreßten Lippen machte Sarah eine nickende Kopfbewegung. »Wäre er nicht gewesen, wäre ich heute nicht hier. Es war eine Flucht vor der Erinnerung. Howard war fünfzehn und mein Schüler. Es war eine zarte, aufrichtige Liebe von uns beiden. Aber ebenso aussichtslos. Ich war es, die ihn nach Ägypten schickte und diese verbotene Liaison beendete.«
»Und du hast es nie bereut?«
»Tausendmal! Aber mein Verstand sagte mir, Sarah, es ist besser so. Und weil mich jeder Weg, jeder Baum und jede Mauer an ihn erinnerte, faßte ich den Entschluß, alles hinter mir zu lassen.«
»Und ihr habt euch nie mehr wiedergesehen?«
»Nie wieder.«
»Keine Briefe?«
»Nichts. Sie hätten nur alte Wunden wieder aufgerissen. Der Abschied war schwer genug.«
Mary blickte zur Seite und dachte nach. Ohne Sarah anzusehen, sagte sie: »Und wenn ihr euch heute begegnen würdet?«
»Mary, seither sind dreißig Jahre vergangen. Jeder von uns ist ein anderer geworden. Ich glaube, Howard würde mich nicht einmal mehr erkennen. Er ist ein berühmter Mann geworden. Sicher hat er eine junge, hübsche Frau geheiratet. Ägypterinnen zählen zu den schönsten Frauen der Welt.«
Mary strich mit dem Handrücken über die Zeitung und erwiderte: »Solche Männer sind nur mit ihrem Beruf verheiratet.«
Mary konnte nicht wissen, wie recht sie hatte.
Wie ein König hielt Howard Carter in Luxor hof. Das »Winter Palace« war sein Palast, und Phyllis übernahm mit Hingabe die Rolle der Zeremonienmeisterin. Sie hatte ein Zimmer in Howards Suite bezogen und kümmerte sich um die tausend Kleinigkeiten, mit denen ein Mann konfrontiert wurde, der über Nacht zu Weltruhm gelangt war.
Weder Howard noch Phyllis nahmen zu Gerüchten Stellung, die sich um ihr persönliches Verhältnis rankten. Aber während Carter auf entsprechende Bemerkungen ärgerlich reagierte, fühlte sich Phyllis eher geschmeichelt. Mit ihrem jugendlichen Charme und der ihr eigenen weiblichen Raffinesse umgarnte sie Howard, und der erwiderte ihre Zuneigung mit Dankbarkeit. Das Leben hatte ihn in dieser Hinsicht nicht gerade verwöhnt, um so mehr genoß er die schwärmerische Anbetung seiner schönen Nichte.
Bereits am Tag, nachdem sie bei ihrem Onkel eingezogen war, hatte ihm Phyllis das Einverständnis abgerungen, »Howard« zu ihm sagen zu dürfen. »Onkel Howard«, meinte sie, klinge zu altmodisch und gehe ihr nur schwer über die Lippen.
Phyllis organisierte auch die Bewachung, die dem König von Luxor zukam. Begab er sich hinüber zum Tal der Könige, so wurde Howard von Phyllis begleitet und von vier Polizisten, die Handfeuerwaffen auf ihrer Galabija trugen und aufdringliche Bewunderer beiseite drängten. Jeweils zwei von ihnen hielten Wache, sobald Howard sich in seine Hotelsuite zurückzog – sogar nachts.
Lord Carnarvon war das Aufsehen, das um seinen Ausgräber gemacht wurde, ein Dorn im Auge; aber er sah keine Möglichkeit, Carter seinen Ruhm streitig zu machen. Die ausländischen Zeitungsreporter, die sich um ein paar Sätze aus Carters Mund prügelten, ließen Carnarvon links liegen. Das Maß war voll, als der Lord beim Abtransport der ersten Schätze in das Museum in Kairo von einem jungen amerikanischen Reporter gefragt wurde, für wen er schreibe.
Evelyn lachte, als der Lord ihr am Abend in der Hotel-Bar des »Winter Palace« von dem Vorfall berichtete: »Papa als Zeitungsreporter! Warum nicht? Du könntest mich ja fragen, ob ich bereit bin, dir ein Interview zu geben! Verzeih, aber das ist zu komisch.«
Überhaupt nicht komisch fand der Lord die Begebenheit, und daß Evelyn sich über ihn lustig machte, bestärkte ihn in seinem Entschluß: »Morgen reisen wir ab. Mr. Cook wird uns zwei Schiffspassagen nach Genua besorgen.« Zur Bekräftigung seiner Aussage kippte er ein volles Glas Scotch hinunter, es war nicht das erste.
»Warum die plötzliche Eile?« erkundigte sich Evelyn vorsichtig. »Nur, weil man dich für einen Zeitungsreporter gehalten hat? Papa, seit wann leidest du unter Komplexen?«
»Es gibt noch andere Gründe. Aber darüber möchte ich vorläufig nicht sprechen.«
»Warum nicht? Hast du Geheimnisse vor deiner
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