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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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alten Brownstones, einem Reihenhaus aus rotbraunen Ziegeln, verschwand. Über eine Stunde kämpfte Sarah mit sich, wie sie sich verhalten sollte, dann gab sie sich einen Ruck und klingelte an der Tür. Eine verhärmte Frau mit zwei kleinen Kindern an der Schürze öffnete. Sie sei Mrs. Salt, erklärte sie auf Befragen. Für Sarah Jones brach eine Welt zusammen.
    Der Schock saß tief, so tief, daß Sarah Männern nur noch mit Mißtrauen begegnete. Und obwohl es nicht an Möglichkeiten mangelte, hatte Sarah alle Anträge mit einem Anflug von Masochismus abgelehnt.
    An diesem frostigen Frühlingsmorgen holte sie unerwartet ihre Vergangenheit ein. Während Zeitungsjungen, die an allen Straßenecken ihre Neuigkeiten hinausschrien, bei Sarah für gewöhnlich kein Interesse fanden, hielt sie, als sie von der Orchard Street in Richtung Seward Park einbog, plötzlich inne. Mit gellender Stimme verkündete ein Halbwüchsiger, der eine Ballonmütze trug und in seinen kurzen Hosen vor Kälte bibberte: »Die Entdeckung des Jahrhunderts! Howard Carter findet 3000 Jahre alten Pharao. The New York Herald.«
    Howard Carter?
    Für einen Augenblick glaubte Sarah, ihr Herz stünde still. Der Name rief in ihr tiefe Erinnerungen wach, die angenehmsten ihres Lebens. Howard Carter! Plötzlich war sie wieder jung, noch keine Dreißig, und blinde Leidenschaft überkam sie nach dem schüchternen, hochaufgeschossenen Jungen mit den dunklen Haaren. Mit einem Mal wurde der Zauber wieder wach, den Howard auf sie ausgeübt hatte. Howard Carter! Sie blieb stehen, hielt sich an einer der Gaslaternen fest, schloß die Augen für einen kurzen Moment, um sich sein Bild zu vergegenwärtigen. Wie ein Rausch überkam sie die plötzliche Erinnerung, und sie mußte sich zwingen, die Augen wieder zu öffnen.
    Dann winkte sie den frierenden Zeitungsjungen herbei, drückte ihm zwanzig Cents in die Hand und sagte, während sie das zusammengefaltete Blatt entgegennahm: »Wir haben uns einmal sehr geliebt, dieser Carter und ich.«
    »Yes, Madam«, erwiderte der bibbernde Boy und nickte höflich lächelnd mit dem Kopf. In der Orchard Street gab es viele Narren. Kritisch prüfte er die Münzen der verrückten Lady zwischen den Zähnen, dann nahm er sein Geschrei wieder auf.
    Von der Titelseite sprang Sarah Howards Bild entgegen, ein stattlicher Mann mit dunklen Brauen und dunklem Oberlippenbart, einen hellen Panamahut verwegen in die Stirn gedrückt. Howards Blick war fest auf das Auge des Betrachters gerichtet, und seine ernste Haltung verriet einen gewissen Stolz, ohne überheblich zu wirken. Mein Gott, Howard, wie hatte sich der schüchterne, schlaksige Junge verändert.
    Die Zeitung vor Augen, setzte Sarah ihren Weg fort. Hastig überflog sie den Bericht, aber ihre Gedanken gingen drei Jahrzehnte zurück, als sie Howard mit einer List dazu brachte, Swaffham zu verlassen und Ausgräber zu werden. Mit Wehmut erinnerte sie sich an den Abschied auf dem kleinen Bahnhof und an ihr Bild, das sie ihm heimlich zusteckte. Lange hatte sie unter der Trennung gelitten, und sie war auch der Grund, warum Sarah sich entschlossen hatte, nach Amerika auszuwandern.
    Wie, fragte sich Sarah, wäre ihrer beider Leben verlaufen, hätte sie nicht von sich aus die Trennung vollzogen. Gewiß wäre der Traum, den sie ein paar selige Monate lebten, nach kurzer Zeit zerplatzt. Das Leben schreibt nun mal seine eigenen Gesetze, und manche sind gnadenlos. Eine Jüngere hätte ihr gewiß längst den Platz an seiner Seite streitig gemacht.
    Verstohlen wischte sich Sarah eine Träne aus dem Augenwinkel, dann betrat sie das Schulhaus. Das viktorianische Portal aus gemauerten Säulen wirkte kalt und erdrückend. Nach dreißig Jahren und obwohl sie längst die Leitung der Schule innehatte, hatte sie sich noch immer nicht daran gewöhnt.
    Mary Scott, eine blaßhäutige, rothaarige Lehrerin irischer Abstammung, mit der sie seit Jahren eine ehrliche Freundschaft verband, kam ihr auf dem lärmenden Flur entgegen und blickte Sarah fragend an: »Du wirkst so abwesend. Was ist los mit dir, Sarah?«
    Verwirrt, als erwachte sie aus einem Traum, erwiderte diese mit einem aufgesetzten Lächeln: »Mary, erinnerst du dich noch an deine erste große Liebe?«
    Mary sah Sarah verwundert an. »Ja. Er hieß Patrick, hatte mindestens dreihundert Sommersprossen und war zwei Jahre älter als ich. Was soll die Frage am frühen Morgen?«
    »Meiner hieß Howard, hatte keine einzige Sommersprosse im Gesicht, dafür war er

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