Der König von Luxor
Arbeit zurückkehrte, glich der Weg durch die Halle des Hotels »Winter Palace« einem Triumphzug. Beifall brandete auf wie nach einer grandiosen Theatervorstellung, man hörte Hochrufe und immer wieder Carter! Carter! Carter! Schaulustige warteten stundenlang auf diesen Augenblick.
An diesem Abend kam ihm zum ersten Mal in den Sinn, wie es wohl sein würde, wenn die Ovationen eines Tages verebbten. Er hatte sich zu sehr daran gewöhnt. Das alltägliche Bad in der Menge war ihm zur Droge geworden, zur Sucht. Er würde krank werden, dachte er, und depressiv wie alle, die einmal Ruhm geleckt haben und die vom Leben wieder zurückgeworfen werden in die Gewöhnlichkeit.
Insofern hätte Lee Keedick keinen besseren Zeitpunkt wählen können, als er Howard in Begleitung von Phyllis Walker gegenübertrat.
»Howard, darf ich dir Lee Keedick vorstellen«, sagte Phyllis, »Mr. Keedick ist einer der bekanntesten Agenten Amerikas. Er managt große Konzerte, Opern, Musicals und Theaterproduktionen. Du solltest dir sein Angebot einmal anhören.«
Mürrisch reichte Howard dem Amerikaner die Hand. Zu viele Geschäftemacher und Agenten waren bei Carter schon vorstellig geworden. Lee Keedick war vielleicht etwas älter als alle bisherigen Agenten, auch etwas altmodischer, weil er wie ein Impressario aus dem vergangenen Jahrhundert einen Gehrock trug, zudem hatte er viel schlechtere Augen als alle anderen, denn er trug eine Brille mit dicken Gläsern, die seine Augen unnatürlich groß erscheinen ließen. Dies und sein flaumiges, weißes Haar, das einen widerspenstigen Kranz um seinen im übrigen kahlen Kopf bildete, verliehen Keedick etwas Vergeistigtes, Klerikales, was jedoch nicht im geringsten den Tatsachen entsprach; denn Keedick hatte nur drei Dinge im Kopf: Essen, Frauen und Geldverdienen. Von allen dreien konnte er nicht genug bekommen.
Was Essen und Geldverdienen betraf, kam Mr. Keedick ohne Umschweife zur Sache. Er lud Carter und Phyllis ins Restaurant und aß zwei Stunden, als hätte er drei Tage keine feste Nahrung zu sich genommen. Zwischen den einzelnen Gängen fand er gerade noch Zeit, Carter sein Projekt vorzutragen.
»Mr. Carter«, begann er und tupfte sich mit der Serviette den Mund ab, »ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß Sie innerhalb weniger Wochen einen Bekanntheitsgrad erreicht haben, der den von Douglas Fairbanks und US-Präsident Warren Harding übertrifft. Die Zeitungen sind voll mit Ihren Abenteuern, kurz, es wäre töricht, diesen Marktwert nicht in klingende Münze umzusetzen.«
»So, so, Abenteuer nennen Sie das, Mr. Keedick«, bemerkte Howard beleidigt.
Phyllis, die Carters empfindsame Seite kannte, versuchte die gespannte Situation zu entkrampfen: »Howard, Mr. Keedick meint das nicht so. Er weiß natürlich, daß du ein ernsthafter Archäologe bist. Aber für die meisten Menschen ist das, was sich im Tal der Könige abspielt, ein faszinierendes Abenteuer.«
»Trefflich bemerkt, trefflich bemerkt!« ereiferte sich der Agent, und mit einem Augenzwinkern zu Carter hin meinte er: »Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Sie haben nicht nur eine sehr schöne, sondern auch eine sehr kluge Frau.«
»Phyllis ist nicht…«, wollte Howard einwenden, aber Keedick war schneller: »Ich weiß, wir leben in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts, und unsere Moralbegriffe sind andere als vor zwei Jahrzehnten. Muß man denn gleich heiraten? Ich bitte Sie, Mr. Carter!«
Howard blickte verwirrt, und Keedick fuhr fort: »Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen, Mr. Carter. Ich arrangiere für Sie eine Vortragstournee durch die Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada. Nur die besten Adressen: Carnegie Hall in New York, Nationaltheater in Washington, Boston, Philadelphia, Chicago, Detroit.« Keedick hob beide Arme und zeichnete ein großes Rechteck in die Luft: »Der König von Luxor berichtet von der größten Entdeckung des Jahrhunderts! – Die Amerikaner werden die Säle stürmen und Sie auf den Schultern hinaustragen, das garantiere ich Ihnen, so wahr ich Lee Keedick heiße.«
»Mr. Keedick…«
»Nennen Sie mich Lee!«
»Lee, ich bin kein Opernsänger und kein Filmstar!«
»Eben, Howard! Sie sind etwas ganz Besonderes. Etwas, was es noch nie gegeben hat. Genau das macht den Reiz aus. Erfolg, das bedeutet in Amerika fünf Prozent Talent, der Rest ist Publicity. Mit einem Filmstar würde ich nie eine so große Tournee veranstalten. Wie ich schon sagte, Sie wären töricht, wenn Sie auf meinen
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