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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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nebenan beobachtet. Er schmunzelte amüsiert vor sich hin, spitzte den Mund, und dabei rollte er die Augen nach beiden Seiten. Schließlich begann er, Carters übertriebene Bewegungen nachzuahmen, aber nicht wie Howard in übertriebener Form, sondern mit kleinen, kurzen Bewegungen, was dem Ganzen einen ungewöhnlich komischen Anstrich gab.
    Als Carter es bemerkte, hielt er verdutzt inne. Er genierte sich etwas, und entschuldigend meinte er zu seinem Nachbarn im Liegestuhl: »Ich hoffe, daß Sie mich nicht für verrückt halten, Sir!«
    »Warum?« gab der kleine Mann, er war etwa Mitte dreißig, lächelnd zurück.
    »Weil ich mich etwas eigenartig benehme. Aber ich studiere einen Vortrag ein, den ich in Amerika halten werde. Mein Name ist Carter, Howard Carter.«
    »Der große Carter, der den Pharao entdeckt hat?«
    »Genau dieser.«
    Der kleine Mann zog die dunklen Augenbrauen hoch, die wie zwei gerade Striche auf- und abhüpften und erwiderte: »Angenehm. Mein Name ist Chaplin, Charles Chaplin.«
    »Und was führt Sie nach Amerika, Mr. Chaplin?«
    »Der Film. Ich bin Schauspieler.«
    »Schauspieler. Wahrscheinlich müßte ich Sie kennen, Mr. Chaplin; aber Sie müssen verzeihen, ich habe die letzten dreißig Jahre in der Wüste zugebracht. Da gibt es kein Kino.«
    »Ach wissen Sie, Mr. Carter, manchmal ist es ganz angenehm, jemanden kennenzulernen, der einen nicht kennt. Aber gestatten Sie mir eine Bemerkung zu Ihren Vortragsübungen: Es sind nicht die großen Gesten, mit denen Sie Wirkung erzielen, sondern die kleinen. Beobachten Sie unsere Politiker, die mit heftigen, weitausholenden Bewegungen vermeintliche Wahrheiten verkünden. Sie wirken meist unglaubhaft und lächerlich. Dabei genügt eine kleine Handbewegung, um den Inhalt von Worten zu unterstreichen.« Chaplin kehrte die Hände, die er bis dahin über der Brust gefaltet hielt, plötzlich nach außen und legte den Kopf leicht zur Seite.
    »Sie müssen wirklich ein großer Schauspieler sein, Mr. Chaplin«, sagte Carter voll Bewunderung. Er hatte ungewollt und plötzlich einen großen Lehrmeister gefunden.
    »Wie kann ich Ihnen danken?« sagte Howard, nachdem sie eine ganze Stunde gemeinsam Mimik und Gestik geübt hatten.
    Chaplin schüttelte den Kopf. »Sie haben mir bereits einen großen Gefallen erwiesen.«
    »Iiiich?«
    »Ja. Als Sie in Southampton am Kai eintrafen, stürzten sich alle Reporter auf Sie und Ihre schöne junge Begleiterin. Das erleichterte es mir, aufs Schiff zu kommen. Es wäre mir sehr recht, wenn sich dieser Vorgang bei der Ankunft in New York wiederholen könnte.«
    »Da steckt Mr. Keedick dahinter, mein Agent. Er beherrscht den Umgang mit der Presse vorzüglich. Glauben Sie mir, es war nicht meine Absicht, Ihnen die Schau zu stehlen.«
    »Aber nein, Mr. Carter, wie ich schon sagte, Sie haben mir einen großen Gefallen getan.«
    Während er redete, begutachtete Chaplin mit Kennerblick die strammen Waden zweier Damen in Tenniskleidung, die an der Reling standen und abwechselnd den beiden Männern verführerische Blicke zuwarfen. Der Vorfall begann auch Carter zu interessieren, und als Chaplin das bemerkte, raunte er ihm zu: »Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, Mr. Carter, hüten Sie sich vor allzuhübschen Damen an der Reling. Sie gehen einem gewissen Gewerbe nach. An Land würde man sie als Kokotten bezeichnen. Auf See ist man etwas galanter und nennt sie alleinreisende Damen mit Doppelkabine. Sie fahren mit der ›Berengaria‹ von Cunard nach New York und, um nicht aufzufallen, zwei Tage später mit der ›Olympic‹ von White Star zurück. Im Vertrauen: Mir sind sie zu alt und zu teuer.«
    Ein Steward beendete das intime Gespräch zwischen den beiden und servierte die Elf-Uhr-Bouillon, welche Chaplin jedoch dankend ablehnte, weil das Schiff aufgrund stärker werdenden Seegangs leicht ins Schlingern geriet.
    »Sie haben wohl nicht mit Schwindel und Übelkeit zu kämpfen?« meinte Charles Chaplin mit neidischem Blick auf Carter, der bedenkenlos seine Bouillon schlürfte.
    »Nein«, erwiderte dieser freundlich, »mir wurde nur zweimal in meinem Leben schwindlig. Das erste Mal, als ich eine Frau nackt sah. Sie hieß Sarah und war meine Lehrerin. Das zweite Mal, als ich die Vorkammer des Grabes von Tut-ench-Amun öffnete.«
    »Wie beneidenswert«, stellte Chaplin fest, ohne den Blick vom Horizont zu wenden.
    Während sich im Nordwesten dunkelgraue Wolken auftürmten, kam Wind auf, und zum immer stärker werdenden Schlingern des Schiffes

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