Der König von Luxor
Phyllis unangenehm ist.«
»Nein, natürlich nicht«, redete Carter herum.
»Sehen Sie«, unterbrach Keedick, »von nun an möchte ich das Wort ›Onkel‹ oder ›Nichte‹ nicht mehr hören. Das gilt auch für Sie, Miss Phyllis. Wir verstehen uns?«
»Ja, Mr. Keedick«, erwiderte Phyllis mit einem Lächeln.
Howard schwieg.
Es war schon Mittag, und die Sonne stand hoch am Himmel, als die Schiffssirenen der »Berengaria« ertönten. An Deck gingen Schiffsjungen von Kabine zu Kabine, von Deck zu Deck und riefen freundlich lächelnd: »All shore that’s going ashore« – was soviel bedeutet wie: Alles an Land, was an Land gehört.
Howard und Phyllis traten an die Reling, an der Hunderte bunter Bänder verknotet waren. Leichter Wind versetzte sie in flirrende Bewegung. Die Zurückbleibenden hielten die Enden an Land fest. Plötzlich ein lautes Rumoren, das stolze Schiff erbebte. Die Dampfturbinen nahmen ihre Arbeit auf. Schäumend stemmten sich zwei Schlepper auf jeder Seite der »Berengaria« in die Fluten. Küstendampfer, Fährboote und ein paar alte Frachter wirkten verloren unter dem riesigen Ozeandampfer. Die bunten Bänder zerrissen eines nach dem anderen, einige flatterten ins Wasser wie welkes Laub. Nach einer Weile klinkten sich die Schleppdampfer aus, und die »Berengaria« wandte ihren hohen, beinahe senkrechten Bug westwärts vorbei an der Insel Wight.
Stewards reichten Champagner. Vom Achterdeck hörte man die Bordkapelle. Sie intonierte irgendein Abschiedslied. Unwillkürlich mußte Carter an frühere Schiffsreisen denken, bei denen er meist mit dem Zwischendeck vorliebnehmen mußte. Und nun? Innerhalb weniger Wochen hatte sich sein Leben ins Gegenteil verkehrt. Er, dem die Sonnenseite des Lebens fremd und unerreichbar schien wie der höchste Gipfel des Himalaya, hatte mit einem Mal alles erreicht, wovon er ein Leben lang geträumt hatte. Die Amerika-Tournee versprach ihm sogar einen gewissen Reichtum. Und dennoch: In Augenblicken wie diesem fragte er sich, ob er wirklich hierhergehörte, und Zweifel wurden wach, ob ihn dieses neue Leben glücklich machte. Ob nicht nur die Augen satt wurden, während das Herz leerblieb.
»Howard, woran denkst du?« Phyllis’ Stimme holte ihn in die Wirklichkeit zurück.
»Nichts, Prinzessin«, entgegnete Howard, »jedenfalls nichts von Bedeutung. Ich mußte nur daran denken, wie ich früher auf dem Zwischendeck reisen mußte.«
»Da warst du noch nicht berühmt, Howard!«
»Das nicht. Aber bin ich deshalb ein anderer?«
Phyllis hob die Schultern und zog die Mundwinkel nach unten.
Von der Brücke her näherte sich Keedick. Er schwenkte einen Briefumschlag über dem Kopf und rief schon von weitem: »Ladys and Gentlemen, Sir John Reynolds, der Kapitän dieses stolzen Schiffes, gibt sich die Ehre, uns zu einem privaten Captains-Dinner einzuladen. Wie ich schon sagte, was Keedick anpackt, macht er gründlich. Eine solche Ehre wird nur wenigen zuteil.«
Das Dinner im kleinen Salon der Kapitänssuite auf dem Oberdeck entbehrte nicht einer gewissen Pikanterie. Weniger, weil Phyllis ein extravagantes Pailettenkleid mit einem gewagten Ausschnitt trug – dieser fand bei Sir John Reynolds außerordentliches Gefallen –, als vielmehr aufgrund der Unterhaltung, die sich während des opulenten Essens ergab und die von Lee Keedick auf raffinierte Weise gelenkt wurde.
Nach einigen Gläsern Sherry und mehreren Gläsern Champagner überhäufte Sir John Phyllis mit Komplimenten und beglückwünschte Carter zu seiner Wahl: »Gewiß ist es nicht einfach, mit einem so berühmten Mann verheiratet zu sein, nicht wahr, Mrs. Carter?«
Phyllis, die tapfer mit einer Hummerschere kämpfte, sah Howard erwartungsvoll an. Auch Keedick lauerte, zum Sprung bereit. Noch bevor Phyllis antworten konnte, bemerkte Carter trocken: »Wir sind nicht verheiratet, Sir John, nein, wir kennen uns erst seit ein paar Monaten!«
Keedicks Augen wanderten unruhig zwischen Howard und John Reynolds hin und her, bis dieser anerkennend den Kopf neigte und erwiderte: »Oh, dann ist Miss Phyllis also Ihre Geliebte.«
»Ja, so könnte man sagen«, bemerkte Keedick knapp und lobte, um das Thema zu wechseln, den vorzüglichen Kaviar. »Er sollte«, meinte er mit spitzen Lippen, »zur richtigen Zeit im Mund zerplatzen.«
»Wenn ich ehrlich sein darf«, holte Kapitän Reynolds aus, »ich interessiere mich nicht allzusehr für Archäologie. Ich habe mein ganzes Leben auf dem Wasser zugebracht, und meine
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