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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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halben Stunde vergeblichen Wartens entschloß sich Howard, nach Sarah Jones zu suchen. Kein leichtes Unterfangen in Manhattan, zumal er nicht einmal ihre genaue Adresse kannte. Orchard Street hatte er im Kopf behalten und daß das Haus sechsunddreißig eiserne Balkone hatte – zur Straße hin.
    Es war noch hell um diese Zeit, und Howard bestieg ein Taxi, dessen Fahrer, ein gebürtiger Neapolitaner, das eigenwilligste Englisch sprach, das Carter je gehört hatte. Genaugenommen handelte es sich um ein Kauderwelsch aus Englisch, Italienisch und Deutsch, was Tony, so nannte sich der blondgelockte Fahrer, damit erklärte, daß sein italienischer Vater eine Deutsche geheiratet habe und mit dieser nach seiner Geburt nach Williamsburg ausgewandert sei.
    Besser als die Sprache des Landes kannte Tony die Straßen von Manhattan, jedenfalls kannte er die Orchard Street und meinte, wenn er, Carter, bis 36 zählen könne, bestünde durchaus Aussicht, die gewünschte Adresse zu finden.
    Die Fahrt auf der Park Avenue südwärts, vorbei an Central Station und Union Square, zog sich beinahe endlos hin, obwohl der Fahrer seinem Oldsmobil das Letzte an Geschwindigkeit abverlangte. Aber nach einer guten halben Stunde erreichten sie die Orchard Street, und nachdem sie auf der belebten Straße eine weitere halbe Meile zurückgelegt hatten, hielt der Fahrer an und deutete auf ein Haus aus braunroten Backsteinen und mit vielen Baikonen, und treuherzig meinte er, er wisse zwar nicht, ob es sechsunddreißig Balkone seien, auf jeden Fall viele.
    Howard zählte. Es waren sechsunddreißig. Der Eingang des Hauses lag seitlich in einer großen Toreinfahrt, und tatsächlich entdeckte Carter ein Schild mit dem Namen »Sarah Jones«.
    Atemlos von zwölf Treppen in einem düsteren Treppenhaus erreichte er das oberste Stockwerk. Howard zögerte, überlegte, ob sein Besuch nicht mit einer Enttäuschung enden könnte, ob es vielleicht nicht besser wäre, alles so zu belassen, wie es war, aber schon im nächsten Moment kam ihm der Gedanke, er würde sich seine Feigheit nie verzeihen.
    Howard klingelte.
    Und als hätte sie ihn hinter der Türe stehend erwartet, öffnete Sarah umgehend, das heißt, zwischen seinem Klingeln und dem Öffnen lag nicht einmal eine Sekunde.
    Überwältigt von Sarahs Chic – sie trug ein rotes, ärmelloses Kleid mit einem spitzen Ausschnitt und Schuhe mit hohen Absätzen und einer Spange über dem Spann –, änderte er die Worte, die er sich zurechtgelegt hatte. Eigentlich wollte Howard sagen: Wir waren verabredet, warum bist du nicht gekommen? Doch nun sagte er ohne jeden Vorwurf: »Ich bin’s. Störe ich?«
    »Aber nein«, erwiderte Sarah lachend. »Ich habe dich doch erwartet, Howard!«
    Carter blickte irritiert. »Wollten wir uns nicht im ›Waldorf-Astoria‹ zum Dinner treffen?«
    »Ja, das hast du vorgeschlagen. Aber willst du nicht hereinkommen?«
    Howard bedankte sich förmlich und trat in das geschmackvoll möblierte Appartement. »Ein Glück, daß ich mir die Straße gemerkt hatte, in der du lebst, und die Sache mit den 36 eisernen Baikonen.«
    »Ein Glück!« Sarah nickte und legte ihre Hände auf seine Schultern. »Weißt du, Howard, ich habe noch nie im ›Waldorf-Astoria‹ gespeist unter all den reichen und bedeutenden Leuten, die dort verkehren, und ich glaube einfach, dieser Abend sollte nur uns gehören, und morgen sollte nicht in der Zeitung stehen, daß Howard Carter mit einer unbekannten Frau im roten Kleid diniert hat.«
    »Da hast du nicht unrecht, Sarah. Allerdings hast du es versäumt, mir deine Adresse zu geben.«
    »Ich weiß«, bemerkte Sarah schmunzelnd, »aber ich habe dir ein paar Anhaltspunkte gegeben. Ich dachte mir, wenn Howard noch an dir Interesse hat, merkt er sich jedes Wort.«
    Staunend schüttelte Howard den Kopf. »Du hast dich wirklich nicht verändert. Du bist noch immer das kluge, in jeder Situation überlegene Frauenzimmer wie damals.« Bei diesen Worten versuchte er vorsichtig, ihre Taille zu umfassen.
    »Der Schein trügt«, entgegnete Sarah und sah Howard durchdringend an. »Gestern in deiner Garderobe war ich mindestens ebenso unsicher wie du, Howard.«
    »Ist es ein Wunder, nach all den Jahren?«
    »Nein, eigentlich nicht. Man kann nicht einfach fortfahren, wo man vor einem halben Leben aufgehört hat. Leider.«
    Als erwachte sie aus einer langen Erinnerung, nahm Sarah ihre Arme von Howards Schultern und sprach: »Komm! Ich habe selbst ein Dinner bereitet, natürlich nicht wie

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