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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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daß sie nachdachte, dann antwortete sie: »Vielleicht zwei- oder zweieinhalbtausend Jahre. Auf jeden Fall ist es eine griechische Liebesgöttin…«
    »…Aphrodite!«
    »Ganz recht, Schüler Howard Carter!« Beide lachten. »Lord Elgin«, fuhr Sarah fort, »hat zu Beginn des Jahrhunderts ganze Schiffsladungen klassischer Kunstwerke aus Athen nach England gebracht. Sie sind heute im Britischen Museum in London zu besichtigen.«
    »Ich weiß«, konterte Carter selbstbewußt. »In Elgins Begleitung befand sich der Maler William Turner!«
    »Du bist ein kluger Junge, Howard!« Sarah Jones zwinkerte mit dem rechten Auge. Das hatte sie noch nie getan, und es verwirrte den Jungen aufs äußerste, weil es ihm unmöglich schien, den tieferen Sinn dieses Zeichens zu deuten. Ein Augenzwinkern, dachte Carter bei sich, ist in jedem Fall ein Beweis von Zuneigung, und er überlegte, wann und durch wen er schon einmal in den Genuß eines vergleichbaren Augenzwinkerns gekommen war. Aber so lange er auch nachdachte, ihm kam kein ähnlich geartetes Erlebnis in den Sinn.
    »Howard!« Sarahs Stimme holte ihn in die Wirklichkeit zurück. »Ich möchte nicht, daß irgend jemand von dieser Entdeckung erfährt, zumindest vorläufig nicht. Hast du mich verstanden?«
    Miss Jones’ heftiger Tonfall machte Carter verlegen, er verbeugte sich umständlich, indem er seinen Hals nach vorne streckte, und beteuerte: »Selbstverständlich, Miss Jones. Von mir soll niemand auch nur ein Sterbenswörtchen erfahren. Ich schwöre es!« Dabei hob er drei Finger seiner rechten Hand.
    Sarah legte ihre Stirn in Falten, was Howard besonders gut gefiel, weil sich ihre Nasenspitze dabei leicht nach oben bewegte, dann meinte sie: »Wir beide sind die einzigen, die von diesem Zimmer Kenntnis haben. Wenn wir das Geheimnis für uns behalten, wird kein Mensch davon erfahren. Ich muß nachdenken, was mit dem seltsamen Zimmer geschehen soll, und vielleicht kannst du mir dabei behilflich sein. Schließlich bist du der eigentliche Entdecker!«
    »Nicht der Rede wert!« entgegnete Carter großspurig und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Aber die Bibliothek darf ich doch noch benutzen, Miss Jones?«
    »Selbstverständlich. Du kannst auch dieses Zimmer jederzeit betreten und, wenn es deine Zeit erlaubt, eine Aufstellung aller vorhandenen Dinge anfertigen. Ich würde diese Aufgabe auch anständig honorieren. Du kannst es dir ja überlegen!«
    Carter schloß das Fenster, was nicht weniger Umstände machte als das Offnen. »Nein, nein!« erwiderte er. »Da gibt es nichts zu überlegen. Ich würde diese Aufgabe gern übernehmen.«
    »Also gut.« Sarah Jones legte ihre Hand auf Howards Schulter und drängte den Jungen sanft aus dem Raum. Der sperrte die Türe ab und reichte Miss Jones den Schlüssel. Und während er das Bücherregal in seine ursprüngliche Position zurückschwenkte, meinte Sarah: »Du kannst den Schlüssel jederzeit bei mir abholen. Ich würde dich nur bitten, dich in der Bibliothek einzuschließen, damit du nicht unerwarteten Besuch bekommst.«
    »Wird gemacht, Miss Jones!« Mit diesen Worten verabschiedete er sich.
    Über St. Peter und Paul zogen dunkle Wolken hinweg, als Howard sich aufsein Fahrrad schwang. Wind kam auf und trieb den trockenen Staub des Sommers vor ihm her. Er fühlte sich wohl und trat übermütig in die Pedale. Teilte er doch mit Miss Jones ein Geheimnis, das nur sie beide kannten. Damit hatte er Macht über sie. Er, Howard Carter, hatte Macht über Miss Sarah Jones.
    Dieser Gedanke verwirrte seine Sinne so sehr, daß Howard an der Abzweigung der Sporle-Road die zweispännige Kutsche übersah, welche ihm entgegenkam und beinahe die ganze Straße einnahm. Und ehe er sich versah, fuhr Howard mit seinem Fahrrad geradewegs zwischen die beiden Pferde, die der Kutsche vorgespannt waren. In seinem Schreck umklammerte er den linken Gaul und hielt sich an der Mähne fest, bis der Kutscher das Gespann mit lautem Schreien zum Stehen gebracht hatte. Auf diese Weise blieben Carter größere Verletzungen erspart, aber sein Fahrrad war unter den Hufen der Pferde in ein wirres Knäuel Draht und Blech verwandelt worden.
    »Dummer Kerl, kannst du nicht aufpassen?« Der Kutscher – er trug eine blaue Uniform mit Messingknöpfen – kletterte rückwärts vom Bock herab und stieß dabei ein paar wütende Flüche aus, welche Howard, weil er mit der Überprüfung seiner Gelenke beschäftigt war, zum Glück nicht wahrnahm.
    Nein, Carter hatte keinen

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