Der König von Luxor
aus. »Howard!« Mehr sagte sie nicht.
Howard stemmte die Bücherwand zur Seite, und mit dem Blick eines Eroberers meinte er, an Sarah gewandt: »Wünschen Sie, daß ich die Türe öffne?«
Miss Jones nickte stumm, ohne sich von der Stelle zu rühren.
Obwohl auch ihn atemlose Spannung erfaßt hatte, war Carter bemüht, Ruhe und Überlegenheit zu demonstrieren. Behutsam drückte er die Klinke nieder – die Türe war verschlossen. »Das war nicht anders zu erwarten«, meinte Howard scheinbar gelassen und strich sich die Haare zurück. »Wie lange lebte Baronin von Schell eigentlich schon allein?«
Sarah, die in der Aufregung den Hintersinn von Carters Frage nicht bemerkte, schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Es klang immer wie eine Ewigkeit, wenn sie den Baron erwähnte.«
Während beide ratlos auf das Schloß starrten, das ihnen den Zugang zu dem Geheimnis verwehrte, genoß Howard die Unruhe, welche Sarah mehr als ihn erfaßt hatte. Er vernahm ihren lauten Atem und ahnte, wie sich ihr Busen hob und senkte. Hinzusehen wagte er nicht.
Plötzlich stotterte Sarah: »Der Schlüssel!«
»Ja?« Carter blickte Miss Jones ins Gesicht.
»Die Baronin hat mir alle Schlüssel des Hauses geordnet hinterlassen. Für einen einzigen fand ich bisher keine Verwendung.«
Rasch verschwand sie, und wenig später kehrte sie mit einem unscheinbaren Schlüssel zurück. Den reichte sie Howard: »Mach du das!«
Howard spürte, wie das Blut in seinen Schläfen pochte. Er war gewiß genauso aufgeregt wie Miss Jones, dennoch mühte er sich, Gelassenheit zu heucheln.
Auf Sarah Jones machte die scheinbare Ruhe, die von dem Jungen in dieser Situation ausging, einen tiefen Eindruck. Sie beobachtete jede seiner Bewegungen, wie er den Schlüssel in das uralte Schloß steckte, den Griff mit Daumen und abgeknicktem Zeigefinger hielt und ihn schließlich zweimal nach links drehte. Dann drückte er auf den geschwungenen Griff der Klinke.
Die Entdeckung der geheimnisvollen Türe hatte Sarah so überrascht, daß sie noch gar keine Zeit gefunden hatte, darüber zu mutmaßen, was sich dahinter verbergen könnte. Gertrude von Schell war von sonderlichem Charakter gewesen, ein Mensch, den man nicht mit normalen Maßstäben messen konnte. Aber was war schon normal – vor allem in Swaffham.
Als Carter die graue Türe öffnete, schlug ihnen eine muffige Wolke aus Staub, kaltem Rauch und alten, zerschlissenen Vorhängen entgegen. Das Zimmer war abgedunkelt. Erkennen konnte man nichts. Howard holte die Lampe aus der Bibliothek und hielt sie in die Türe.
»Was siehst du, Howard?« Miss Jones’ Stimme klang aufgeregt.
Der Anblick, der sich ihm bot, verschlug Carter die Sprache. Er wollte das Gesehene beschreiben, aber es ging nicht, er war so überwältigt, daß er die Lampe stumm an Miss Jones weiterreichte und einen Schritt zurücktrat.
Sarah leuchtete in den Raum: Er maß etwa sechs Meter im Quadrat. Auf einem Teppich in der Mitte stand ein Schreibtisch, ein braunschwarzes Ungeheuer in Chippendale, dahinter ein Stuhl mit hoher Lehne. Auf dem Tisch lag eine Zeitung aufgeschlagen, daneben eine Petroleumlampe und ein kantiges Whiskyglas, linker Hand eine Schale mit einer gekrümmten Tabakspfeife und eine Vase mit vertrockneten Blumen. Über der Stuhllehne hing ein dunkles Sakko aus derbem Stoff. An der Wand dahinter erkannte Sarah ein überlebensgroßes Gemälde, das Bildnis eines jugendlichen Mannes in Abenteurerpose vor einer Wüstenlandschaft.
Es gab über das Haus verteilt mehrere Gemälde dieses Mannes. Sarah erkannte ihn sofort. »Das ist Baron von Schell!« bemerkte sie zu Howard, der mit offenem Mund neben ihr stand. Er nahm ihr die Lampe aus der Hand.
Wenn der Baron plötzlich in der Türe gestanden wäre und gefragt hätte: Was suchen Sie hier?, es hätte sie nicht gewundert. Denn rechts neben dem Schreibtisch stand ein benutzter Papierkorb aus Leder, dahinter verstaubte Hauspantoffeln.
Carter erschrak. »Miss Jones, sehen Sie nur!« Er leuchtete auf den Boden. Unter dem großen Gemälde lag, scheinbar schlafend, ein ausgestopftes Krokodil, knapp sechs Meter lang. In der rechten Ecke ein abgesägter Elefantenfuß mit einem Lederkissen als Sitzgelegenheit. Links von dem Bild stand ein hoher, runder Eisenofen.
Die gesamte linke Wand nahm ein dunkles Regal ein. Hier lagen Bücher, Karten und Berge von Papier gestapelt, dazwischen Krüge, Schalen und Figuren, Funde und Ausgrabungen aus fernen Ländern, wie Carter sie nur aus
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