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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Hazelford und ging seiner Arbeit nach.
    Das Schuljahr neigte sich dem Ende zu. Aber was bei Jungen seines Alters gemeinhin euphorische Stimmung hervorrief, versetzte Howard Carter in Panik. Nicht weil er fürchten mußte, ein schlechtes Zeugnis zu erhalten, nein, Howard konnte sich nicht mit dem Gedanken abfinden, Miss Jones nicht mehr jeden Tag zu sehen. Heimlich hatte er während des Unterrichts ihr Gesicht studiert, ihr streng frisiertes dunkles Haar, den leicht geschwungenen Hals und die Ohren, welche sich bei der geringsten Aufregung mit Blut füllten und leuchtendrote Farbe annahmen wie Blätter im Herbst. Howard hatte jede ihrer Gesten im Gedächtnis, und er hätte Sarah Jones an ihrem Gang erkannt, wäre sie ihm in stockfinsterer Nacht auf der gegenüberliegenden Straßenseite begegnet.
    Obwohl ihm seine Auftragslage als Tiermaler kaum noch Zeit ließ, versäumte Howard keinen Nachmittag, um sich in das geheime Kabinett des seligen Barons zu begeben. Denn hier fühlte er Sarahs Nähe.
    Gleich am ersten Tag, als er mit der Sichtung und Archivierung der Ansammlung von Dokumenten, Zeichnungen, Photographien, Funden und Ausgrabungen begann, machte er eine unerwartete Entdeckung. Im Begriff, die aufgeschlagene Zeitung beiseite zu räumen, fiel sein Blick eher zufällig auf eine Überschrift.
    »Mein Gott!« stammelte er leise. Dann rannte er wie von Hunden gehetzt über die Treppe zum Direktionszimmer. »Miss Jones! Miss Jones!« rief er aufgeregt und stürmte ohne anzuklopfen in ihr Zimmer. Er fand Miss Jones jedoch nicht hinter ihrem Schreibtisch vor, sondern auf dem durchgesessenen Ledersofa, auf dem er sie noch nie sitzen gesehen hatte.
    »Carter!« rief Sarah Jones streng, wie sie es sonst nur während des Unterrichts tat. Ärgerlich blickend sprang sie auf, und dabei ordnete sie hektisch ihre Kleider. Was die Situation für Howard jedoch unerträglich machte: neben Miss Jones saß Charles Chambers.
    Howard stutzte und sah Miss Jones an, als sei die Welt vor seinen Augen aus den Fugen geraten. »Entschuldigen Sie, Miss Jones!« sagte er weinerlich, »es ist nur – ich habe da eine Entdeckung gemacht…«
    »Eine Entdeckung?« fragte Chambers interessiert.
    Sarah unterbrach ihn: »Das geht nur uns beide etwas an, nicht wahr, Howard?«
    Carter nickte hilflos.
    »Mr. Chambers wollte sich ohnehin gerade verabschieden«, fuhr Sarah fort, »ich danke für Ihren Besuch, Mr. Chambers!«
    Chambers erhob sich und verabschiedete sich förmlich. Howard war wütend. Ihn ärgerte das peinliche Schauspiel, das sie ihm bot, als sei er zu jung und zu dumm, um nicht zu merken, was vorging. Wahrscheinlich trug sie nicht einmal ein Korsett unter ihren Kleidern, wahrscheinlich war sie überhaupt keine anständige Frau, wahrscheinlich hatte er sich einfach in ihr getäuscht. Ihm war zum Heulen zumute.
    »Howard!« Sarahs Stimme holte Carter in die Realität zurück. Chambers war längst fort. »Was gibt es Aufregendes zu berichten? Nun sag schon!«
    Er war viel zu stolz, um sich sein Leid anmerken zu lassen, seine Trauer, die ihn plötzlich befallen hatte. Deshalb gab er sich so, als hätte er diesen gottverdammten Chambers gar nicht gesehen. Für ihn war dieser kleinwüchsige Musikus einfach Luft.
    In der Bibliothek angelangt, schloß Carter hinter sich ab und bedeutete, Sarah möge vorausgehen. Im Kabinett des Barons lag noch immer die Zeitung auf dem Schreibtisch.
    »Ich glaube, Sie haben da ein Problem, Miss Jones«, sagte Carter, »hier, lesen Sie!« Dabei deutete er auf einen Artikel auf der ersten Seite.
    Sarah Jones las halblaut, erst stockend, dann immer schneller werdend: »Einbruch in Didlington Hall. Bisher unbekannte Täter haben sich in der Nacht zum Montag Zutritt zu den Sammlungen Lord Amhersts verschafft und wertvolle Kunstgegenstände aus der griechischen und ägyptischen Epoche geraubt. Die Räuber seilten sich vom Dach des Landsitzes zu einem Fenster des Obergeschosses ab, durch welches sie in das Innere gelangten. Unter den entwendeten Kunstgegenständen befinden sich über 3000 Jahre alte ägyptische Grabbeigaben sowie eine etwa neunzig Zentimeter hohe griechische Statue aus dem 5. Jahrhundert vor Christus, bekannt als die Aphrodite von Samos. Die Figur hat ein Gewicht von annähernd fünfundvierzig Kilogramm und wurde im Jahre 1816 von dem Diplomaten und Kunstsammler Lord Thomas Elgin für das Museum erworben. Der Preis soll tausend Guineen betragen haben. Wie die bisher unbekannten Täter auf das Dach von

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