Der König von Luxor
Didlington Hall gelangten, ist bislang ungeklärt. Ebenso wie es den Räubern gelingen konnte, unbemerkt vom Personal ihre Tat zu vollenden.«
Sarah Jones warf einen Blick auf die weiße Statue, dann sah sie Carter mit fragenden Augen an. »Da habe ich in der Tat ein Problem«, meinte sie schließlich und ließ sich auf dem Schreibtischstuhl nieder. Und während ihre Finger nervös auf der Armlehne trommelten, warf sie den Kopf in den Nacken und starrte zur Decke, als stünde dort die Lösung des Problems geschrieben.
Howard stand am Fenster und verschlang ihre ungewohnte Haltung mit gierigem Blick. Wie konnte sie sich nur so vergessen und mit einem liederlichen Musikus einlassen, wo jeder weiß, wie Musiker sind: Sie brauchen nur ein paar Akkorde, um das Herz einer Frau zu erobern. Weil er aber Sarahs tiefe Ratlosigkeit erkannte, meinte er schließlich: »Ich glaube, Sie müssen zur Polizei gehen, Miss Jones!«
»Du bist verrückt, Howard!« Sarah schüttelte heftig den Kopf. »Was soll ich denn der Polizei sagen?«
»Die Wahrheit! Sie müssen berichten, was sich zugetragen hat!«
»Und du glaubst, auch nur ein Mensch würde mir diese Geschichte abnehmen? Daß Baronin von Schell in einem geheimen Kabinett, von dessen Existenz niemand wußte, einen regelrechten Totenkult für ihren verstorbenen Mann betrieb? Und das fünfzehn Jahre lang? Nein, Howard, kein Mensch würde diese Geschichte glauben!«
»Aber es ist die Wahrheit!«
»Die Wahrheit! Die Wahrheit ist oft so unglaubhaft, daß es handfester Lügen bedarf, um sie verständlich zu machen.«
»Mag sein. Dann müssen wir uns eben eine andere Geschichte einfallen lassen, wie und warum diese Statue gerade jetzt entdeckt wurde.«
»Es gäbe in jedem Fall einen Skandal. Und für den Ruf der Dame-School wäre das nicht gerade förderlich. Jedenfalls ist ein Skandal das allerletzte, was ich in der gegenwärtigen Situation gebrauchen kann.«
Sarahs Argumente erschienen einleuchtend. Eine private Schule, die seit fünfzehn Jahren als Versteck für das meistgesuchte Kunstwerk im Königreich diente, würde geächtet und zum Gespött der Leute werden. »Was gedenken Sie also zu tun, Miss Jones?«
»Gar nichts, Howard. Zumindest solange, bis mir eine Lösung eingefallen ist.«
Howard nickte zustimmend und bemerkte: »Man kann sich kaum vorstellen, daß der Baron ein Räuber gewesen sein soll. Ein seltsamer Mensch!«
»Das war er wohl. Aber nicht nur er, auch die Baronin hatte so ihre Eigenheiten.«
»Ob sie von dem Kunstraub wußte?«
Miss Jones hob die Schultern: »Eigentlich ist es schwer vorstellbar, daß sie sich nicht für die Herkunft der Statue interessierte. Im übrigen ist keineswegs erwiesen, daß Baron von Schell an dem Raub beteiligt war. Vielleicht wurde ihm die Statue zum Kauf angeboten, ohne daß er ihre Herkunft kannte.«
Howard trat an das dem Fenster gegenüberliegende Regal und zog einen Stapel loser Blätter hervor. »Ich habe da etwas gefunden, was Ihren Verdacht bestätigen könnte. Eine Rechnung des Auktionshauses Phillips in London über ein ausgestopftes Krokodil und eine weitere Rechnung von Samson-Antiques in Kensington über ein ägyptisches Kalkstein-Relief, ach, und hier noch eine über einen griechischen Krater, fünfundzwanzig Zentimeter hoch, zum Preis von fünfzig Guineen und zwölf Shilling.«
Miss Jones zeigte auf einen roten Tonkrug mit schwarzfigürigen Darstellungen in dem Regal. Dann sah sie Howard lange an. »Mir scheint, der Baron war gar nicht der große Abenteurer, als der er sich gerne sah. Ich glaube, Baron von Schell lebte in einer Traumwelt, und alle seine Abenteuer sind Gegenstand der Bücher in seiner Bibliothek. Vermutlich fanden seine Reisen in ferne Länder nur zwischen zwei Buchdeckeln statt. Es gibt Menschen, die betrügen sich um ihr eigenes Leben.«
»Warum tut ein Mensch so etwas?«
»Das könnte uns nur der Baron selbst erklären; aber der ist seit fünfzehn Jahren tot. Oder die Baronin. Aber…«
»Ja, ich weiß. Also wird es wohl immer ein Geheimnis bleiben.«
»Es sei denn, es gelänge uns, aus dem Wust seiner Hinterlassenschaft, ein Charakterbild zusammenzusetzen. Aber das erforderte einen hohen Aufwand an Zeit, und das Ergebnis wäre das sicher nicht wert.«
»Ich würde Sie gerne bei dieser Arbeit unterstützen, Miss Jones.
Die Sache hat ja keine Eile.« Der Gedanke faszinierte Howard. Denn auf diese Weise würde er gewiß noch über Monate Zutritt zur Dame-School haben.
Als Carter gegen
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