Der König von Luxor
was bei ihm ein Zeichen höchster Anspannung war. »Ich meine, es ist vielleicht nicht der passende Augenblick, aber mir erschien heute nacht im Traum meine selige Mutter, und sie sprach zu mir: Tu es, mein Junge. Du mußt es tun, und zwar noch heute.«
Sarah Jones war überfordert. »Noch heute?« Sie sah den Besucher ratlos an.
Da begann dieser hastig, die Blumen aus dem Zeitungspapier zu wickeln, und als ihm das endlich gelungen war, trat Chambers vor Sarah hin, beugte das rechte Knie wie ein Pfarrer vor dem Altar und hielt der Angebeteten die Blumen, rötliche Gladiolen, entgegen. Theatralisch schloß er die Augen und schluckte, dann sprach er: »Miss Jones, verehrte Sarah! Seit unserer ersten Begegnung bin ich fasziniert von Ihrer Erscheinung. Ich bin verwirrt, wenn ich Sie sehe, und verstört, wenn ich Sie nicht sehe. Reichtümer habe ich nicht vorzuweisen, aber eine gewisse Tugendhaftigkeit und ein Herz voll Musik. Wenn Sie das Ihre und ich das Meine zusammenlegten, hätten wir ein gutes Auskommen. Vielleicht ließe sich Ihre Lehranstalt in eine Musikschule umwandeln, in der höhere Töchter Gesang, Klavier- und Lautenspiel erlernten. Wäre das nicht wunderbar? Jedenfalls möchte ich mir erlauben, Sie hier und heute ganz offiziell – «
»Tun Sie’s nicht, Charles, bitte!« unterbrach ihn Sarah. »Ich weiß, was Sie sagen wollen. Bitte tun Sie’s nicht! Sie würden sich nur eine Abfuhr holen. Und so etwas schmerzt.«
Sarah Jones nahm Chambers die Blumen aus der Hand. Sie tat, als habe sie seine Worte nicht gehört. »Ich danke Ihnen für die schönen Blumen. Wie habe ich sie nur verdient.« Dann streckte sie ihre Hand aus und half Chambers auf die Beine.
»Nun stehen Sie nicht herum wie ein begossener Pudel!« rief Sarah nach einer Weile, in der Chambers regungslos mit hängendem Kopf und hängenden Armen vor ihr gestanden hatte. »Es ist doch nichts geschehen, was Anlaß zum Trauern böte. Sie haben nicht um meine Hand angehalten, und ich habe nicht nein gesagt. So ist es doch?«
Chambers nickte entmutigt. »Sie mögen mich nicht sehr, Miss Jones«, sagte er und hielt den Blick auf den Boden gerichtet.
»Charles!« Sarahs Stimme klang ziemlich heftig. »Bitte machen Sie daraus keine Affäre. Ich mag Sie wirklich sehr, Charles. Aber zwischen mögen und lieben ist ein Unterschied. Sind Sie sicher, daß Sie mich lieben, nicht nur mögen? Ich glaube, Sie lieben Ihre Musik über alles in der Welt. Das ist in Ordnung, aber keine ideale Voraussetzung für eine Heirat. Alle Musiker-Ehen enden in einer Katastrophe. Wenn man nicht hat, was man liebt, muß man lieben, was man hat. Sind Sie mir jetzt böse, Charles?«
Charles schüttelte nur den Kopf. Er antwortete nicht.
Als sie seine glänzenden Augen sah, trat Sarah auf Chambers zu und nahm ihn in ihre Arme.
Es war nicht seine Art, durch Schlüssellöcher zu gucken. Nicht einmal als Kind hatte er das getan. Jedenfalls konnte sich Howard Carter nicht erinnern. Aber das Erlebnis vom Vortag hatte ihn so durcheinandergebracht, daß er nun, als er den Schlüssel zum geheimen Kabinett des Barons abholen wollte, zuerst durch das Schlüsselloch der Türe zum Direktionszimmer lugte, damit es nicht wieder zu einer unangenehmen Begegnung käme wie gestern.
Er traute seinen Augen nicht. Als hätte er es geahnt, sah er diesen Musikus in den Armen von Miss Jones. Obwohl er Miss Jones, diesem liederlichen Frauenzimmer, längst abgeschworen hatte, machte ihn der Anblick wütend, so wütend, daß er, weil er Chambers diesen Augenblick neidete, heftig mit der Faust an die Türe pochte und rief: »Miss Jones, ich will ja nicht stören, aber ich brauche den Schlüssel, wenn ich meine Arbeit fortsetzen soll.«
Gleich darauf ging die Türe auf, und Sarah Jones reichte Howard den Schlüssel. Der nahm ihn schweigend in Empfang und verschwand.
Wie stets verriegelte er die Türe von innen, nachdem er die Bibliothek betreten hatte. Mit einer gewissen Routine, die er sich inzwischen angeeignet hatte, öffnete er die Bücherwand und begab sich in das Kabinett des Barons.
Howards Lust zu archivieren hielt sich an diesem heißen Sommertag in Grenzen. Deshalb ließ er sich in dem wuchtigen Schreibtischstuhl nieder, und sein Blick schweifte über das Sammelsurium, das Baron von Schell im Laufe eines Lebens zusammengetragen hatte. Manche von den Kunstgegenständen, wie die afrikanischen Masken oder Tonscherben aus römischer Zeit, gefielen ihm weniger, andere, wie ägyptische Gefäße
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