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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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der englischen Geschichte und strahlte Gediegenheit und Tradition aus. Scheinbar unbeachtet standen riesige chinesische Vasen, Hunde und Fabeltiere aus Porzellan herum. Durch die hohen Fenster der Halle, die zu betreten ihm zuvor verweigert worden war, fiel grelles Sommerlicht und zeichnete leuchtende Flecken auf die roten und blauen Ornamente der orientalischen Teppiche. Howard konnte sich nur schwer vorstellen, daß in den wuchtigen Sesseln, die frei und ohne Tisch herumstanden, jemals ein Besucher Platz nehmen würde.
    Von der großen Halle führte eine Tür zum Arbeitszimmer des Hausherrn. Der Butler klopfte an und meldete den Besucher.
    Obwohl nicht gerade klein von Statur, kam sich Howard Carter klein vor, als er den Raum betrat. Er erinnerte ihn irgendwie an das Kabinett des Barons in Swaffham, nur daß dieses Kabinett viel größer war. Kunstgegenstände und Ausgrabungen, vorwiegend aus Ägypten, nahmen die Wände vom Boden bis zur Decke ein. Carter bemerkte einen merkwürdigen Geruch, und in dem Raum herrschte drückende Schwüle.
    Lord Amherst und ein fremder Besucher standen über einen großen Tisch in der Mitte des Raumes gebeugt, vor sich haufenweise Karten, Zeichnungen und alte Dokumente.
    Der Lord kam Carter freundlich entgegen und erkundigte sich: »Haben Sie die Folgen des bedauerlichen Unfalls überwunden?«
    »Halb so schlimm!« Howard machte eine wegwerfende Handbewegung.
    »Und Ihr Velociped?«
    »Ich habe mir ein neues gekauft. Es hat mich hierher gebracht, Mylord.«
    »Dann können wir also die Angelegenheit als erledigt betrachten«, erwiderte Amherst und wies auf den Unbekannten, einen jungen Mann von vielleicht fünfundzwanzig Jahren: »Mr. Newberry, darf ich Ihnen Mr. Howard Carter vorstellen, von dem ich Ihnen schon erzählt habe. Er ist ein sehr begabter Zeichner. Ich würde es gerne sehen, wenn er in meine Dienste träte.« Und an Howard gewandt, erklärte er: »Das ist Percy Edward Newberry, ein angehender Ägyptologe, meisterhafter Botaniker und exzellenter Gartenhistoriker.«
    Newberry streckte Carter die Hand entgegen: »Lord Amherst hat schon berichtet, auf welch eigenartige Weise Sie seine Bekanntschaft gemacht haben. Wer weiß, wozu es gut war. Das Leben hält immer wieder die seltsamsten Zufälle bereit.«
    Carter nickte freundlich und legte seine Zeichenmappe auf den Tisch. An den Lord gewandt meinte er: »Wenn Sie gestatten, ich habe ein paar Probearbeiten mitgebracht, Auftragszeichnungen von Pferden und Haustieren, aber auch ein paar Landschaftsaquarelle aus der Gegend.«
    Mit Interesse begutachteten Lord Amherst und sein Besucher die Blätter, wobei Carter den Lord nicht aus den Augen ließ und jede seiner Regungen verfolgte.
    Lord Amherst, ein stattlicher Mann von etwa sechzig Jahren, trug einen schmalen Oberlippenbart. Sein energischer Blick und die ernsthaften Gesichtszüge ließen kaum vermuten, daß sein Charakter weich und den schönen Dingen des Lebens zugetan war. Viertausend Hektar Heideland, Pferde, Kühe und Schafe in unüberschaubarer Anzahl erlaubten ihm und seiner Frau Margaret, mit der er fünf Töchter, aber keinen Sohn hatte, ein Leben ohne Einschränkungen, ja Seine Lordschaft konnte es sich leisten, ungewöhnlichen Leidenschaften nachzugehen, die sein Leben bestimmten und von denen noch die Rede sein wird. Zudem hegte Lord Amherst eine beinahe religiöse Verehrung für Queen Victoria, deren Bild mit den Königsinsignien überlebensgroß die Mitte der gegenüberliegenden Wand des Arbeitszimmers einnahm.
    Nachdem Amherst und Newberry Howards Zeichnungen eingehend begutachtet und sich gegenseitig anerkennende Blicke zugeworfen hatten, bot der Lord Carter einen Stuhl an und fragte: »Mister Carter, welchen Beruf üben Sie derzeit aus? Wenn ich mich recht erinnere, sagten Sie, Sie betätigten sich als Tiermaler?«
    »Ganz recht, Mylord. Ich habe gerade die Schule beendet und muß nun daran denken, auf eigenen Füßen zu stehen. Die Umstände und finanziellen Verhältnisse meines Vaters erlauben mir jedenfalls nicht, ein College zu besuchen. Aber ich bin guter Dinge. Es gibt Aufträge genug.«
    An den Tisch gelehnt und mit beiden Daumen in den Taschen seiner Weste erwiderte Amherst: »Das mag ich gerne glauben, mein junger Freund, Ihre Arbeiten sind wirklich vorzüglich. Aber sind Sie sicher, daß Ihre Auftragslage anhält? Wir gehen unruhigen Zeiten entgegen. Aufgestachelt von kurzsichtigen Hitzköpfen, verweigern die Baumwollarbeiter die Arbeit. ›Streik‹

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