Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
Vom Netzwerk:
teilen.«
    »Was soll das heißen? Könntest du dich vielleicht etwas deutlicher ausdrücken?«
    Alicia schmunzelte, aber in ihrem Schmunzeln lag eine gewisse Bitterkeit. »Früher gab es in Didlington Hall einen großen Weinkeller. Der mußte geräumt werden, als die Mumie einzog – wegen des günstigen Raumklimas. Da liegt sie nun und schläft, vermutlich noch einmal dreitausend Jahre. Ich kann sie dir zeigen, wenn du willst.«
    Howard sah Alicia ungläubig an, als hätte sie gerade etwas Unglaubliches berichtet.
    »Du glaubst mir nicht? Komm!« Alicia nahm Howard an der Hand und strebte einem Seiteneingang zu, der verschlossen war. Ein Landsitz wie Didlington Hall hat zwar nur einen Haupteingang, aber mehrere Hinter- und Seiteneingänge, die einen Gebäudekomplex wie diesen rätselhaft erscheinen lassen wie ein Labyrinth.
    »Warte hier!« kommandierte Alicia und verschwand. Kurz darauf wurde von innen die Türe geöffnet.
    Schweigend gingen beide einen langen Gang entlang, von dem rechter Hand zahlreiche Türen wegführten, die alle gleich aussahen, und Carter fragte sich, welcher Hilfsmittel sich die Bewohner wohl bedienten, um die richtige Türe zu finden und keine mit einer anderen zu verwechseln. Wie einfach war es da doch bei Fanny und Kate, wo er sogar in stockfinsterer Nacht und ohne Lampe die Türe zu seinem Zimmer fand.
    Am Ende des Ganges stiegen sie eine Treppe nach unten bis zu einem Absatz, auf welchem zwei gegenüberliegende Türen aus rohem Holz in entgegengesetzte Richtungen führten.
    »Hier wohnt er«, meinte Alicia ironisch und fügte hinzu: »Wir können uns ruhig laut unterhalten, hier sind wir ungestört. Denn außer Newberry und meinem Vater wagt sich niemand hier herunter.«
    »Und du? Hast du keine Angst?«
    Alicia, noch immer barfuß, öffnete die Tür, die noch nicht einmal verschlossen war, schließlich nahm sie eine Petroleumlampe von der Wand und entzündete sie. »Angst wovor?« fragte sie zurück.
    Carter nickte verständnisvoll. Dann erwiderte er: »Mädchen deines Alters fürchten sich doch vor allem und jedem.«
    Da hielt Alicia inne, drehte sich um und leuchtete Howard, der ihr dicht auf den Fersen folgte, ins Gesicht: »Woher willst du das wissen? Du kennst wohl viele Mädchen meines Alters?«
    So ist es, wollte Carter antworten, aber das hätte ihn wohl in die unangenehme Lage versetzt einzugestehen, daß er eine Dame-school besucht hatte, in der er der einzige Junge war, und das wäre ihm peinlich gewesen. Deshalb zog er es vor zu antworten: »Viele ist übertrieben; aber von denen, die ich kenne, brächte keine einzige deinen Mut auf, wirklich.«
    »Ph!« meinte Alicia schnippisch, drehte sich um und leuchtete mit der Lampe in das Gewölbe, das sich ein paar Stufen tiefer vor ihnen auftat. Wuchtige Säulen, die aussahen, als wären jeweils vier Baumstämme zu einem zusammengewachsen, trugen Rundbögen, die sich kreuzten und aus rauhem Stein gemauert waren. Soweit man das im schummrigen Licht erkennen konnte, maß das Gewölbe fünfzehn Meter in der Länge und zehn Meter in der Breite. Auffallend sauber war der Boden aus quadratischen Sandsteinplatten, jede so groß wie ein Wagenrad. Es gab keine Fenster- oder Luftöffnung, weshalb hier eine eisige Temperatur herrschte wie in Norfolk im Winter.
    Am Ende des Gewölbes löste sich plötzlich ein seltsames Etwas aus der Dunkelheit, eine rundliche menschliche Gestalt auf zwei Holzböcken, goldglitzernd und mit blauroter Bemalung versehen.
    »Das ist Mister Peabody!« lachte Alicia und hielt die Lampe in die Höhe, damit sie mehr Licht verbreitete.
    Der Anblick machte Carter sprachlos. Vor ihm lag ein ägyptischer Mumiensarg. Er hatte die Form eines in goldene Leinentücher gewickelten Menschen mit über der Brust gekreuzten Armen. Die glitzernde Hülle war mit Fabeltieren und Hieroglyphen bemalt. Der Kopf trug eine aufgemalte Frisur, aber das Faszinierendste waren seine schwarzumrandeten Augen, die starr nach oben blickten und den Eindruck vermittelten, als könnte niemand die Ruhe dieser Mumie stören.
    Auf Howard übte sie eine seltsame Anziehungskraft aus. Einerseits tot, andererseits so lebendig, als könnte sich das menschliche Gebilde jeden Augenblick in Bewegung setzen, entfesselte sie seine Neugierde, und er mußte sich zurückhalten, daß er nicht ein Gespräch mit der Mumie begann: Wo kommst du her? Wie alt bist du? Wie ist dein Name?
    Um das Mädchen nicht doch noch zu erschrecken, hielt Carter seine Fragen zurück.

Weitere Kostenlose Bücher