Der König von Luxor
abzuschließen, als ihn wie ein Blitz der Gedanke traf, daß Marvin heute morgen das Hotel wegen der großen Hitze ohne Jacke verlassen hatte. Flugs kehrte er noch einmal zurück, öffnete den Schrank und tastete die Taschen des Sakkos nach einem möglichen Inhalt ab. Von früheren ähnlichen Aktionen, bei denen er sich ungerechtfertigt bereichert hatte, wußte Owen, daß Männer kein sichereres Versteck kennen als die Innentasche ihres Sakkos. Bei Marvin war das nicht anders.
Auf diese Weise entdeckte Owen zwei Pässe, von denen der eine auf den Namen James Marvin, der andere auf den Namen Alex Yerby ausgestellt war, während beide offensichtlich ein und derselben Person gehörten. Noch bedeutsamer erschien Owen jedoch ein mehrfach gefaltetes Blatt, auf welchem drei Namen mit Anschrift verzeichnet waren, die der Junge gut kannte: Mr. Alfred McAllen, Mr. Kenneth Spink und Miss Sarah Jones.
Zählten McAllen und Spink zu den reichsten Männern von Swaffham – der eine verdiente sein Geld als Transportunternehmer, der andere besaß eine Fabrik für Dampfmaschinen –, so warf der Name Sarah Jones’ in dieser Reihe eher Fragen auf. Dennoch entschied sich Owen, seine Beobachtungen der Polizei zu melden. Bewußt vermied er es, sich zuvor seinem Vater anzuvertrauen, denn dieser – mußte er befürchten – würde, aus Sorge um den Ruf seines Hauses, nie zulassen, daß ein Gast des »George Commercial Hotels« der Polizei ausgeliefert würde.
Die Polizeistation in der Spinners Lane war auf den Umgang mit Schwerverbrechern – und um einen solchen handelte es sich, sollten sich Owens Beobachtungen bewahrheiten – in keiner Weise eingerichtet, und so wurde erst Verstärkung angefordert, bevor am nächsten Morgen ein Trupp von fünf Mann das Hotel am Marktplatz stürmte und James Marvin alias Alex Yerby festnahm. Sein Abtransport in einem vergitterten Pferdewagen erregte viel Aufsehen in Swaffham. Eine Kinderschar folgte barfüßig und lärmend der Kutsche und machte dem gefangenen Verbrecher lange Nasen oder rieb die gekreuzten Zeigefinger gegeneinander zum Zeichen der Schadenfreude.
Nach langen Verhören gestand Marvin alias Yerby, an den Einbrüchen in Bickling Hall und Rainthorpe Hall insofern beteiligt gewesen zu sein, als er seinen Kumpanen entsprechende Tips gegeben habe und Schmiere stand. Über den Verbleib der Beute könne er nichts sagen, er sei aber bereit, die Namen der beiden anderen zu verraten, wenn man ihm eine mildere Strafe zubillige. Und was die Namensliste betreffe, so sei sie ihm von einem der beiden Kumpane zugesteckt worden, er, Marvin alias Yerby, habe davon keinen Gebrauch gemacht.
Am folgenden Tag wurde Inspektor Grenfell bei Miss Jones vorstellig.
Sarah erschrak zu Tode, als der Inspektor plötzlich im Direktionszimmer vor ihr stand. In solchen Situationen spult das schlechte Gewissen in einem kurzen Augenblick alle Sünden der Vergangenheit ab.
Grenfell, hochgewachsen und äußerst korrekt gekleidet, in Gehrock und passender Weste, aber wohl kurzsichtig, weil er, ohne Brille, die Lider so zusammenkniff, daß seine Pupillen dem Gegenüber verborgen blieben, sprach in starrer Haltung ohne jede Handbewegung: »Miss Jones, Sie können von Glück reden, daß Sie einem Verbrechen entgangen sind. Ihr Name stand auf der Liste einer Bande, die in Norfolk seit geraumer Zeit ihr Unwesen trieb und mit Vorliebe die Landsitze hochstehender Persönlichkeiten unseres Landes heimsuchte.«
Marvin!, schoß es Sarah Jones durch den Kopf. Das schlechte Gewissen hatte ihr Verhältnis zu Howard Carter an die erste Stelle aller Verdächtigungen gesetzt. So empfand sie Grenfells Einleitung beinahe als Erleichterung, und sie war bereit, sich dem Inspektor, was das Kabinett des Barons und seinen Inhalt betraf, zu offenbaren. Doch es kam anders.
»Mein Name auf der Liste von Verbrechern?« fragte Sarah Jones, scheinbar ahnungslos.
»Sorgen Sie sich nicht, Miss Jones!« fiel ihr Grenfell ins Wort, »wir haben den Kopf der Bande bereits festgesetzt. Es ist ein gewisser Yerby oder auch Marvin; wie er wirklich heißt, wissen wir nicht, noch nicht.«
Jetzt, dachte Sarah, würde Grenfell die Frage stellen, ob sie die Namen schon einmal gehört habe, ob ihr der Mann gar schon einmal begegnet sei, und sie überlegte, ob sie nicht besser ein Geständnis ablegen sollte; aber eine innere Stimme hielt sie davon ab. So erwiderte sie keck und beinahe gelangweilt: »Inspektor, wie kann ich Ihnen helfen bei einem Verbrechen,
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