Der König von Luxor
das nie begangen wurde?«
»Für mich«, erklärte Grenfell, »stellt sich natürlich die Frage, warum das Gaunertrio, und um ein solches handelt es sich, ausgerechnet Ihren Namen auf der Liste führte. Haben Sie dafür irgendeine Erklärung, Miss?«
Sarah Jones musterte den Inspektor mit prüfendem Blick, um in Erfahrung zu bringen, ob er in Wahrheit vielleicht mehr wußte als er vorgab; aber Grenfell war schwer zu durchschauen in seiner Bewegungslosigkeit und der undurchdringlichen Maske, hinter der er jede Mimik verbarg.
»Es ist nämlich so«, holte Grenfell weiter aus, »bei den anderen Adressen auf der Verbrecherliste handelt es sich um Mr. Alfred McAllen und Mr. Kenneth Spink aus Swaffham. Nicht gerade arme Leute. In Blickling Hall und Rainthorpe Hall, zwei Landsitzen in der Umgebung von Norwich, die für den Wohlstand ihrer Besitzer berühmt sind, wurde bereits eingebrochen. Anders gesagt: In Blickling Hall und Rainthorpe Hall war durchaus etwas zu holen. Auch bei McAllen und Spink wäre…«
»Ich verstehe«, erwiderte Sarah lachend, »Sie fragen sich, was in der Dame-School von Swaffham zu holen ist. Die Frage stelle ich mir auch, Inspektor. Sehen Sie sich doch um. Baronin von Schell hat im Laufe ihres langen Lebens allerlei Tand und Zierrat angesammelt, der mir als Erbe zugefallen ist. Ich zweifle jedoch, daß der Wert all dieser Dinge einem Vergleich mit einem der genannten Landsitze standhält oder dem Besitz von Spink und McAllen.«
»Sie erlauben, daß ich mich hier etwas umsehe?« fragte Grenfell. »Es ist nur zu Ihrer eigenen Sicherheit!«
»Selbstverständlich, Inspektor!« erwiderte Sarah, aber dabei war ihr nicht besonders wohl zumute.
Wie eine Marionettenpuppe, die an unsichtbaren Fäden gezogen plötzlich zum Leben erwacht, begann Grenfell den Kopf nach links und rechts zu bewegen und mit zusammengekniffenen Augen und prüfendem Blick nach verborgenen Kostbarkeiten zu forschen. Und nachdem er sich im Direktionszimmer ausführlich umgesehen und den Vorgang mit keinem Wort kommentiert hatte, bat er höflich, den Tresor aufzuschließen und, nachdem er darin nichts Bemerkenswertes gefunden hatte, ihm die übrigen Räume des Hauses zu zeigen.
Hatte Sarah Jones sich schon in Sicherheit gewiegt, so wurde sie nun von großer Unruhe erfaßt. Hatte Marvin oder wie immer der Kerl heißen mochte, verraten, welche Schätze sich in diesem Haus befanden? Das war nicht ausgeschlossen, wenngleich unwahrscheinlich, weil der Gauner sich dadurch selbst verraten hätte. Ihre Nervosität wuchs, je näher sie dem Bibliothekszimmer kamen, und insgeheim legte Sarah sich schon passende Worte zurecht, wie sie dem Vorwurf begegnen könnte, das Versteck verschwiegen zu haben. Aber dann warf der Inspektor nur einen kurzen Blick durch die Türe und wandte sich schweigend dem nächsten Raum zu.
Nachdem sie an den Ausgangspunkt ihrer Erkundungsreise zurückgekehrt waren, fand Inspektor Grenfell die Sprache wieder. »Sie sind noch nicht lange hier in Swaffham, Miss Jones«, stellte er eher beiläufig fest.
»Das ist richtig«, entgegnete Sarah, die sehr wohl den hinterlistigen Tonfall in seiner Stimme bemerkt hatte. »Ich komme aus Ipswich.«
»Und zu Baronin von Schell standen Sie in welcher Beziehung?«
»In gar keiner Beziehung, Mr. Grenfell.«
»Und trotzdem setzte sie Sie zum Erben ein. Ungewöhnlich, finden Sie nicht auch?«
»Durchaus, Mr. Grenfell. Aber das ganze Leben ist ungewöhnlich. Die Baronin hinterließ ein gültiges Testament!«
»Sie brauchen sich nicht zu rechtfertigen, Miss Jones! Mich interessiert nur der Fall Marvin, aber gestatten sie mir in diesem Zusammenhang die Frage: Ist Ihnen jemals aufgefallen, daß Baronin von Schell seltsamen Umgang pflegte? Ich meine, welche Leute gingen hier ein und aus? Hatte sie zweifelhafte Freunde, die einen gewissen Verdacht rechtfertigten?«
Die Fragerei verstimmte Sarah allmählich, und mit Nachdruck erwiderte sie: »Mr. Grenfell, die Baronin pflegte außerhalb ihrer schulischen Verpflichtungen überhaupt keinen Umgang, welcher irgendwelche Verdächtigungen rechtfertigte. Sie lebte äußerst zurückgezogen. Im übrigen lag es mir fern, die Baronin zu bespitzeln. Warum sollte ich? Sie genoß allseits hohes Ansehen in Swaffham.«
Grenfell nahm wieder dieselbe starre Haltung ein wie zu Beginn ihrer Unterredung, nur daß er diesmal die Hände auf dem Rücken verschränkt hielt wie ein vornehmer Lord. Und nach einer Weile des Schweigens begann er erneut: »Und
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