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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Sie, Miss Jones? Ich meine, auch Sie haben eine Vergangenheit. Waren Sie nie verheiratet?«
    »Nein«, antwortete Sarah knapp.
    »Ungewöhnlich«, meinte Grenfell. »Bei Ihrer Erscheinung und Ihrem Alter – wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.«
    »So, finden Sie, Mr. Grenfell? Aber meines Wissens gibt es kein Gesetz im Vereinigten Königreich, das einer Frau vorschreibt, vor Vollendung des dreißigsten Lebensjahres zu heiraten.«
    »Selbstverständlich nicht!« meinte der Inspektor entschuldigend. »Ich wollte nicht taktlos erscheinen. Aber wollen Sie mir die Frage beantworten, warum Sie Ihr Weg von Ipswich ausgerechnet nach Swaffham führte?«
    »Gewiß. Das hat persönliche Gründe. Ich war Lehrerin in Ipswich, aber nach dem Tod meines Vaters fühlte ich nicht mehr die geringste Bindung an diese Stadt. Ich wollte fort, um meine unliebsame Vergangenheit zu vergessen, welche mit Ipswich in Verbindung stand. Ein Reverend empfahl mich nach Swaffham. So kam ich an diese Dame-School.«
    »Marvin alias Yerby stammt auch aus Ipswich«, sagte Grenfell unvermittelt.
    »Ach«, entgegnete Sarah schnippisch. »Und was wollen Sie damit sagen?«
    Ohne auf ihre Frage einzugehen, fuhr Grenfell fort: »Sind Sie diesem Marvin in Ipswich schon einmal begegnet?«
    Sarah fühlte, wie ihr das Blut in den Kopf schoß. »Wie kommen Sie darauf, Mr. Grenfell. Ipswich ist groß, kein Marktflecken wie Swaffham, wo beinahe jeder jeden am Gesicht kennt.«
    »Wäre doch möglich gewesen, zumindest hätte es die Tatsache erklärt, daß Ihr Name auf Marvins Liste stand. Trotzdem danke ich Ihnen für Ihre Auskünfte, Miss Jones.«
    Grenfell machte eine Verbeugung und verschwand.
    Die Unterredung mit dem Inspektor hinterließ bei Sarah Jones eine gewisse Verwirrung, ja Beklommenheit. Sie traute diesem Grenfell zu, daß er bluffte und sie an der Nase herumführte, jedenfalls nahmen ihre Gedanken eine ganz bestimmte Richtung. Sarah hatte Gewissensbisse, und in ihrer Hilflosigkeit begann sie mit sich selbst zu sprechen: Sarah, sagte sie in ruhigem Tonfall, du hast achtundzwanzig Jahre deines Lebens getreu den Gesetzen dieses Landes gelebt und dir nichts zuschulden kommen lassen. Was ist nur auf einmal in dich gefahren. Die Ordnung, in der du lebtest, ist auf den Kopf gestellt. Manchmal wünschte ich, du wärst in Ipswich geblieben in der düsteren Beschaulichkeit eines entbehrungsreichen Lebens, aber ohne Furcht vor elenden Erpressern und der Polizei, die jeden deiner Schritte beobachtet. – Aber willst du das wirklich? – Nein, antwortete Sarah sich selbst, ohne zu zögern. Und was dein Verhältnis zu Howard betrifft: Die Idee, daß eine Frau sich stets an einen älteren Mann bindet, taucht erst spät in der Menschheitsgeschichte auf. Und jeder Mensch hat eine Eigenart, die den anderen unverständlich ist. Und du selbst, verstehst du dich eigentlich selbst noch? – Nein, ich verstehe mich selbst nicht mehr, antwortete sich Sarah, während sie hinter ihrem Schreibtisch Platz nahm, den Kopf in die Hände stützte und ins Leere starrte.
    Mit wem sollte sie darüber sprechen? Es war beinahe lachhaft: Der einzige, dem sie sich offenbaren konnte, war Howard, der Junge, den sie bis vor wenigen Tagen in englischer Literatur und Geschichte unterrichtet hatte. Dennoch wußte sie, ein Lächeln, eine einzige Berührung von ihm würde alle Angst vertreiben. Also machte sie sich auf den Weg zur Sporle-Road.
    Fanny und Kate zeigten sich erfreut über den erneuten Besuch von Miss Jones und baten sie zum Tee. Howard, den sie zu sprechen wünschte, sei nach Dunham gefahren, wo er einem Auftrag nachkomme, er sei ja ein so tüchtiger Junge. Dennoch sähen sie es gerne, wenn Howard in Lord Amhersts Dienste träte. Ob sie den Jungen nicht überreden könnte.
    Deshalb sei sie gekommen, entgegnete Sarah, und wie auf ein Stichwort erschien Howard Carter mit einer Zeichenmappe unter dem Arm.
    »Ich möchte Howard allein sprechen«, sagte Miss Jones an die beiden alten Damen gewandt. In ihrer Ahnungslosigkeit hatten sie den Blick nicht bemerkt, den Sarah und Howard sich zuwarfen und der keiner weiteren Erklärung bedurft hätte. Deshalb weckte es auch nicht das geringste Mißtrauen, als Howard und Sarah sich auf sein Zimmer im Obergeschoß zurückzogen.
    Kaum hatte Howard die Türe geschlossen, fielen sich beide lautlos in die Arme wie zwei Liebende, die einander wochenlang entbehrt hatten. Nur das Rascheln ihrer Kleider war zu hören.
    »Miss Jones«, flüsterte

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