Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
Vom Netzwerk:
Aber im Hospital von Cambridge, wohin Vater Spink seinen Sohn zur Behandlung hatte bringen lassen, machte man ihm wenig Hoffnung, daß der Unfall ohne Folgen bleiben würde. Das rechte Bein, meinten die Ärzte, würde wohl verkrüppelt und ein paar Zentimeter kürzer bleiben als das linke und eine Krücke oder ein Stock zum Gehen unverzichtbar sein. Kenneth Spink zog es vor, seinem Sohn diesen Umstand vorerst zu verschweigen.
     
     
    Während sich diese schicksalhaften Ereignisse in Didlington Hall abspielten, wuchsen bei Sarah Jones die Zweifel, ob ihr Verhalten gegenüber Inspektor Grenfell richtig gewesen war, ob sie das Versteck der Aphrodite- Statuenicht besser preisgegeben und sich so ein ruhiges Gewissen verschafft hätte. Das Verhältnis zu Howard strapazierte ihre Nerven ohnehin über Gebühr.
    Entgegen früherer Gewohnheit verbrachte sie Stunden vor dem Spiegel und betrachtete sich von allen Seiten, und dabei stellte sie sich die Frage, ob sie nicht zu alt sei für Howard. In solchen Augenblicken löste sie ihre strenge Frisur und bürstete ihr Haar, daß es offen herunterhing, oder flocht es zu Zöpfen, wie sie sie als junges Mädchen getragen hatte. Brauen und Wimpern schminkte sie mit schwarzer Farbe, und das Lippenrot ließ sie noch sinnlicher erscheinen. Mit einem Mal fand sie an sich selbst Gefallen. Und das alles wegen eines fünfzehnjährigen Jungen!
    Hundertmal hatte sie Howards Karte mit der Aufschrift »Der schönen Aphrodite…« gelesen, ohne zu ahnen, daß die wenigen Zeilen für ihr Leben bestimmend werden könnten. Sarah trug sie gefaltet zwischen ihren Brüsten, und jedesmal, wenn die Zweifel an ihrem Verhalten übermächtig zu werden drohten, zog sie das Papier hervor und las es halblaut und Wort für Wort wie ein Schulkind.
    Gewiß, der Schreiber der Zeilen war jung, viel zu jung für sie, aber war seine Sprache nicht die eines Erwachsenen? Kein Mann hatte bisher solche Worte für sie gefunden, und niemandem war es gelungen, derart heftige Gefühle in ihr zu wecken. Nein, Sarah fiel es nicht leicht, ihre Schneiderseele umzukrempeln; doch Schneiderseelen, sagte sie sich, gab es schon viel zu viele.
    Längst hatte sie bereut, Howard gedrängt zu haben, nach Didlington Hall zu gehen. Jetzt fehlte er ihr mehr, als sie sich das hatte vorstellen können. Ein Wort, eine kurze Berührung hätte genügt, ihre ausufernde Sehnsucht zu stillen. Aber zwischen Swaffham und Didlington Hall lag die Unendlichkeit von zehn Meilen.
    In einem solchen Anfall von Niedergeschlagenheit entsann sich Sarah Jones Charles Chambers’, der ihr, wenngleich sie seinen Antrag abgewiesen hatte, mit Rat zur Seite stehen wollte. Der Sommer hatte seinen Zenit bereits überschritten; aber trotz vorgerückter Stunde war es noch hell, als Sarah sich auf den Weg machte.
    Chambers lebte nicht weit entfernt in einem der schmalbrüstigen Häuser an der Mangate Street, deren zweistöckige Häßlichkeit sich hinter Efeu und Pflanzenranken, die bis zur Dachrinne reichten, versteckten. Sie waren sich nicht mehr begegnet, seit Chambers ihr den Antrag gemacht hatte, und Sarah kannte nicht einmal seine Hausnummer, so daß sie erwartet hatte, sich durchfragen zu müssen. Aber dann vernahm sie durch ein halb geöffnetes Fenster im Obergeschoß den wimmernden Klang eines Harmoniums.
    Es gab keine Glocke, und vermutlich hätte diese Mühe gehabt, das selbstgetretene Instrument zu übertönen, deshalb stieg Sarah die kaltfeuchte Treppe hinauf bis zu einem düsteren Flur, wo es nach Bohnerwachs roch und verkochtem Gemüse.
    Sarah klopfte und trat, da sie keine Antwort bekam, in das Zimmer, aus dem die Musik kam.
    Chambers erschrak und drehte sich um, als er ein Geräusch vernahm.
    »Sie, Miss Jones?« sagte er verwundert, während er sich von seinem Klavierhocker erhob und mit nervösen Fingern sein Silberhaar in Ordnung brachte. »Sie hätte ich zu allerletzt erwartet!«
    »Also sind Sie enttäuscht?«
    »Nein, nein, im Gegenteil, Miss Jones! Ihr Besuch, und dann noch zu später Stunde?«
    »Daraus sollten Sie keine falschen Schlüsse ziehen, Charles.«
    »Natürlich nicht«, erwiderte Chambers verschämt. »Wollen Sie sich nicht setzen?« Er nahm ein Notenbündel von einem Stuhl, der, wie die gesamte Einrichtung, schon bessere Tage gesehen hatte, und machte eine einladende Geste.
    »Sie dürfen sich nicht näher umsehen«, meinte er und beschrieb mit dem Kopf einen Winkel von 180 Grad. »Aber ein Junggesellenhaushalt, noch dazu der eines

Weitere Kostenlose Bücher