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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Boden kullerte und seinen Weg in Richtung des Harmoniums suchte. Peinlich berührt bückte sich Sarah, um nach dem runden Etwas Ausschau zu halten. Dabei rutschte unbemerkt ein Zettel aus ihrem Mieder. Chambers hob ihn auf, um ihn zurückzugeben. Aus Neugierde, eine Eigenschaft, welche für gewöhnlich nicht seinen Charakter bestimmte, warf er jedoch einen Blick auf die ungelenke Aufschrift: Der schönen Aphrodite, vormals Griechenland, jetzt Swaffham, Grafschaft Norfolk. Von Howard Carter.
    Chambers war zutiefst verwirrt. Er kniete sich nieder und gab sich den Anschein, als fahndete er nach dem versprengten Perlmuttknopf von Sarahs Bluse. In Wahrheit suchte er jedoch nach einer einleuchtenden Erklärung für die ungewöhnlichen Zeilen, vor allem aber für die Tatsache, daß Sarah den Zettel in ihrem Mieder trug.
    »Hier ist er, Gott sei Dank!« rief Sarah freudig und hielt Chambers den Fund mit spitzen Fingern entgegen.
    Der half ihr auf, und nachdem sie wieder Platz genommen hatte, hielt er ihr den aufgefalteten Zettel hin und musterte sie mit festem, fragendem Blick.
    Sarah schoß das Blut in den Kopf. Ihr war, als bemächtigte sich ihrer ein Dämon, der ihr den Atem raubte. Instinktiv preßte sie beide Fäuste zwischen ihre Brüste, genau auf die Stelle, an der sie seit Tagen den Zettel verborgen hatte. Sie tat dies mit solcher Heftigkeit, daß die Knöchel ihrer Finger weiß wurden. Ihre Augen flackerten unruhig, als sie schweigend Chambers’ Blick erwiderte. Aber schon im nächsten Augenblick wandelte sich ihre Verunsicherung, das Gefühl, bei etwas Sündhaftem ertappt worden zu sein, in heftigen Zorn. Mit einer schnellen Bewegung riß sie Chambers das Papier aus der Hand und ließ es an derselben Stelle ihrer Kleidung verschwinden, aus der es sich auf verhängnisvolle Weise gelöst hatte.
    In der Absicht, das Ereignis wortlos zu übergehen, kam sie, als wäre nichts geschehen, auf Chambers’ Ratschlag zu sprechen, die Entdeckung der geraubten Statue der Polizei zu melden. Auf alle weiteren Fragen antwortete Chambers nur zurückhaltend und knapp, beinahe unwillig.
    »Es wird schon dunkel«, meinte Sarah Jones übergangslos, »würden Sie die Freundlichkeit haben, mich nach Hause zu geleiten?«
    Zuvorkommend, wie es seine Art war, erwiderte Chambers: »Selbstverständlich, Miss Jones.«
    Auf dem Weg zur Dame-school, der über den Marktplatz, vorbei am Butter Cross-Pavillon führte, wo sich um diese Zeit die Liebespärchen trafen, wechselten Charles und Sarah kaum ein Wort. Sarah ahnte, daß Howards Liebesbrief der Grund für seine Schweigsamkeit war, aber in ihrer Verwirrung wagte sie zunächst nicht, sich zu erklären. So wurde der gemeinsame Weg zur Qual, und Sarah spürte das Verlangen, fortzulaufen und sich zu verstecken.
    Kurz bevor sie ihr Ziel erreichten, platzte Sarah plötzlich heraus: »Charles, Sie stellen sich jetzt gewiß die Frage, was es mit dem Brief auf sich hat.«
    Chambers antwortete in die Dunkelheit: »Das ist richtig, Sarah. Es scheint sich hierbei um einen sehr jungen Verehrer zu handeln, noch dazu um einen ehemaligen Schüler. Sie nehmen es mir sicher nicht übel, wenn ich darüber etwas verwundert bin.«
    »Howard Carter ist fünfzehneinhalb. Rein rechnerisch trennen uns dreizehn Jahre, aber im Innersten sind wir keinen einzigen Tag voneinander entfernt.«
    »Miss Jones!« Chambers’ Stimme klang verärgert und heftig. »Ich hoffe, Sie wissen, was Sie da tun!«
    »Nein«, erwiderte Sarah knapp. »Ich weiß nur, daß ich nicht anders kann. Und ich sage das, damit Sie sich keine falschen Hoffnungen machen, Charles. Betrachten Sie mein Geständnis als Vertrauensbeweis.«
    Schweigend und im Schutze der Dunkelheit erreichten sie endlich das Schulgebäude. Vor dem Portal verabschiedete sich Chambers mit gewohnter Förmlichkeit, indem er Sarahs Hand nahm und sich tief verbeugte wie ein Diener in einem vornehmen Hause. Und noch bevor Sarah ihm für seine Begleitung danken konnte, war Chambers verschwunden.
    Im Schutz einer Hauswand, keine fünfzig Meter entfernt, hatte Howard Carter die Szene beobachtet. Die langen Abende in der muffigen Einsamkeit von Didlington Hall hatten seine Sehnsucht nach Sarah, seine Lust, sie zu berühren, so weit getrieben, daß er sich auf sein Fahrrad gesetzt und den Weg nach Swaffham in nicht viel mehr als einer Stunde zurückgelegt hatte.
    Er wollte Sarah überraschen und hatte, als er die Türe verschlossen fand und im ganzen Haus kein Licht sah, in Sichtweite

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